Interview: Darkseed

mit Tommy Herrmann vom 21. Mai 2013 via Mail
Was bedeutet es eigentlich für eine Band, ein Mitglied auszuwechseln? Immer wieder erlebt man es als Hörer, dass man endlich mal eine Band findet, die wirklich gut zu sein scheint und plötzlich wird das Line-Up verändert und man erkennt die Truppe gar nicht mehr wieder. Bei einigen wenigen ganz besonderen Gruppen, wie zum Beispiel Creedence, die Beatles oder ZZ Top, hat es geklappt ganz oder fast gänzlich ohne irgendwelche größeren Veränderungen am Line-Up zu überleben. Gut, die ursprünglichen Creedence waren zwar nur fünf Jahre aktiv, haben aber mit ihren in dieser Zeit veröffentlichten sieben Alben etwas seitdem nie wieder Erreichtes geschaffen.
Wo es eine solche fast schon familiären Bandsituation gibt, muss man auch das krasse Gegenteil finden können, oder? Das ist sogar ziemlich schnell gemacht ... man betrachte nur mal Iced Earth, Before The Dawn oder Black Sabbath. Mit zwanzig verbratenen Band- und Livemitgliedern ist Tuomas Saukkonen mit Before The Dawn schon ganz gut dabei. Oder besser gesagt, er war ganz gut dabei, bis er die Band 2013 auflöste. Black Sabbath bringen es schon auf 24 ehemalige Bandkollegen, wenn man die von der Band versteckt gehaltenen Tourmusiker mitzählt. Die Jungs mit der vereisten Erde bringen es dann schon auf sage und schreibe 25 Ex-Mitglieder. Nicht schlecht, oder? Da hat sich Jon Schaffer redlich Mühe gegeben die Formation der Band all paar Jahre zu kippen. Natürlich gibt es auch noch viele andere Bands oder monumentalen Projekte wie Avantasia, die eigentliche nur einen einzelnen Musiker als Konstante haben und dafür Massen an Bandmitgliedern verpulvern.
Doch gehen wir mal zurück zu den "normalen" Musikgruppen. Was passiert hinter den Kulissen, wenn ein Mitglied geht oder neu dazu stößt? Woher weiß man überhaupt, wer mit seiner ganz eigenen Persönlichkeit in das Konzept passt und wer vielleicht auf Dauer eher eine schlechte Wahl sein könnte? Tommy Herrmann - Gitarrist der deutschen Gothic Metal Band Darkseed - berichtet wie es war, als ihr neuer Sänger Mike Schmutzer zur Truppe dazustieß.
Auch spricht Tommy mit uns über die Geschichte der Band, die sich aus dem Death Metal zum Gothic entwickelt hat, die letztjährige Stille um Darkseed und das nächste Studioalbum.
Viel Spaß beim Lesen!

Das Interview:

Alex: Hi Tommy! Wie geht’s dir?
Tommy Herrmann: Hi Alex, alles bestens, danke Dir!
Alex: Wie wirkt sich das Frühlingswetter auf dich als Musiker aus? Bekommt man gleich Lust neue Songs zu schreiben, oder bist du da so ziemlich unabhängig vom Wetter?
Tommy: Aus meiner Sicht prinzipiell unabhängig. Allerdings muss das Songwriting ja meistens nebenbei stattfinden und nach dem kalten Winter, sobald die ersten warmen Tage kommen, wird man dann doch verleitet den Songwritingkeller zu meiden und die Sonne zu genießen ;)
Alex: Woher bekommst du persönlich neue Ideen für Songs?
Tommy: Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal kommen Ideen wenn ich mich mit der Gitarre bisschen hinsetzte und vor mich hin spiele, oder man hört im Autoradio zufällig irgendeinen Song der eine neue Idee anstößt. Oder man nimmt sich eine neue Samplelibrary mit Drumloops oder Keyboardsounds vor und da „triggert“ ein Sound eine neue Idee.
Alex: Und wie sieht dann der weitere Prozess bei der Entstehung eines Songs aus, sobald eine erste Idee keimt?
Tommy: Man setzt sich dann an den Rechner und baut die Idee bis zum fast fertigen Song aus. Die Herangehensweise ist dann oft unterschiedlich, je nachdem ob ich von einem Gitarrenriff aus den Song aufbaue, eine Keyboardline als Grundlage habe – oder ein cooler Drumloop als rhythmische Inspiration Grundlage ist. Auf alle Fälle wird eine komplette Rohversion mit der gesamten Instrumentierung erstellt. Die Drums als Platzhalter programmiert, Gitarren eingespielt und die Keys programmiert. Danach tauschen wir die Songs untereinander aus, und jeder kann dann aus seinem Instrument noch die Feinheiten ausarbeiten, andere Ideen einbringen und so weiter.
Alex: Was passiert mit Songideen, die es nicht aufs Album schaffen? Landen die im Nirvana, oder versucht ihr sie dann doch noch irgendwo anders zu verbraten?
Tommy: Sind es wirklich nur Ideen die nicht zum Song ausgearbeitet sind, landen die in der Tat auf der Müllhalde. Sind es schon fertige Songs, die es am Ende nicht aufs Album schaffen, dann werden die oft als Bonustracks fürs DigiPack genommen, oder falls sich nach Jahren einige Lieder angesammelt haben könnte man auch dem regulären Album eine Bonus CD mit diesen unveröffentlichten Songs beilegen. So hatten wir das bei „Ultimate Darkness“ gemacht.
Alex: Im Allgemeinen scheint es seit einem Jahr relativ ruhig um Darkseed geworden zu sein. Was habt ihr seit der Veröffentlichung des Best-Of-Albums im Mai 2012 gemacht?
Tommy: Die Band muss bei uns nebenbei laufen. Die meisten von uns verdienen Ihr Geld schon im entferntesten mit Musik – Ich habe z.B. ein Tonstudio für Sprachaufnahmen, Tom Gilcher und Maurizio eine Musikschule, und da bleibt oft nicht soviel Zeit für die Band übrig.
Alex: Wann können die Fans mit neuem Songmaterial rechnen?
Tommy: So wie es augenblicklich aussieht, Ende des Jahres ;)
Alex: Seit Anfang 2012 ist euer neuer Sänger Mike Schmutzer mit von der Partie. Konnte er eine Art frischen Wind in die Band bringen? Irgendwelche neuen stilistischen oder Showelemente?
Tommy: Wir sind mit Mike sehr zufrieden. Seine Gesangs und Showkünste hat er ja schon bei einigen Live Gigs bewiesen. Er bringt auf alle Fälle frischen Wind ins neue Album und der Gesang wird auf alle Fälle abwechslungsreicher ausfallen als es bei „Poison Awaits“ der Fall war.
Alex: Was passiert hinter den Kulissen überhaupt, wenn es zu einer Veränderung im Line-Up kommt?
Tommy: Gute Frage, das ist ja immer irgendwie unterschiedlich. Kommt auch darauf an ob jemand „gegangen wird“ - oder aus eigenen Gründen die Band verlässt. Chaos ist erst mal vorprogrammiert. Wir kennen aber mittlerweile viele gute Musiker, die auch wieder andere kennen – da ist meist relativ zügig jemand gefunden.
Alex: Wie man lesen kann, hat Darkseed als Death Metal-Band angefangen. Heute wird euer Sound eher als Gothic Metal beschrieben. Was sind die Gründe dafür?
Tommy: Zu Darkseeds Gründerzeiten war Gothic Metal noch relativ neu, und entstammt auch irgendwie dem DeathMetal. Das hat sich ja erst langsam daraus ent- und weiterentwickelt. Das war irgendwie ein fließender Übergang den Darkseed da vollzogen hat.
Alex: Wie hat sich diese Wandlung vollzogen?
Tommy: Am Anfang zur Gründungszeit war da der Death Metal. Zu der Zeit bzw. kurz danach kam da von Paradise Lost die „Gothic“ raus, und da war klar dass es in Zukunft irgendwie in diese Richtung gehen muss. Im Endeffekt macht man ja die Musik die einem gefällt, und ich denke unter anderem hat diese CD Darkseed zu Anfangszeiten in diese Richtung gelenkt.
Alex: Und wie wirkt sich das auf eure Fans aus? Gibt es Fans der ersten Stunde, die mit eurem Sound eine Entwicklung durchgemacht haben und euch bis heute treu sind?
Tommy: Sicherlich, da gibt es einige Fans. Es gibt auch sicherlich viele die sich in eine anderen Richtung entwickelt haben und uns nicht mehr hören. Und andere kommen dazu …
Alex: Im Allgemeinen, wie wichtig ist eine konstante stilistische Entwicklung im Sound einer Band? Ich meine, ab einem bestimmten Zeitpunkt fahren sich die meisten Musiker in einer bestimmten Ecke fest ….
Tommy: Vielleicht nicht so wichtig wie man meinen würde. Die meisten fangen ja sehr jung an. Und gerade in den ersten Jahren ist man noch sehr aufnahmebereit, muss Erfahrungen sammeln, man entwickelt sich noch, lernt dazu usw. Deswegen ist wohl meistens die stilistische Entwicklung einer Band in den ersten Jahren am schnellsten und nimmt im Laufe der Zeit ab, was ganz normal ist. Irgendwann haben die meisten Ihren Stil gefunden – man muss sich doch nicht immer mit Gewalt weiterentwickeln.
Alex: Viele kluge Köpfe streiten darüber, ob Musikalität vererbbar ist oder aber durch das Umfeld eines heranwachsenden Menschen erschaffen wird. Was denkst du persönlich darüber?
Tommy: Ich denke nicht das Musikalität vererbbar ist. Manche Menschen besitzen einfach eine Begabung in der Richtung – andere nicht. Oft ist es aber so dass Kinder von musikalischen Eltern schon in jungen Jahren in Richtung Musik geschult werden, und deshalb eine gute Ausgangssituation haben um im Teenager Alter eine Band zu gründen oder sich musikalisch professionell weiterbilden zu lassen. Andere Kinder von nicht musizierenden Eltern werden vielleicht zum Fußball geschickt und später vielleicht Profi Fußballer.........
Alex: Ab wann sollte man deiner Meinung nach mit der musikalischen Sozialisierung bei Kindern beginnen?
Tommy: Möglichst früh. Man sollte aber mit Fingerspitzengefühl vorgehen und das richtige Instrument fürs Kind auswählen oder es selber entscheiden lassen. Der Flötenunterricht wird vielleicht gehasst, während das Kind zu Hause mit Kochlöffeln auf die Töpfe einhämmert....... Und nie dazu zwingen, sonst kann es zu eine Abneigung kommen.
Alex: Glaubst du, dass tatsächlich jeder mit genug Zeit und Übung ein Instrument oder das Singen erlernen könnte?
Tommy: Ja. Aber wie schon gesagt, manche bringen mehr musikalische Begabung mit sich und andere weniger. Dementsprechend lernt der eine mehr in kürzerer Zeit. Beim Singen ist es vielleicht etwas anderes, da kommt noch ein weiterer Faktor hinzu, nämlich der Klang der Stimme.
Alex: Welche Rolle spielt Musik in unserer heutigen Gesellschaft?
Tommy: Erstmal eine sehr Große. Wir sind fast überall irgendwie von Musik umgeben. Leider ist Musik heutzutage aber zur Massenware geworden, da fast überall umsonst verfügbar in unüberschaubarer Masse. Früher hat man sich eine CD gekauft und die 2 Wochen bis zum Erbrechen gehört, heute spiele ich übers Handy eine Playlist mit unzähligen Titeln ab. Früher hat man sich eine Woche auf „Headbangers Ball“ auf MTV gefreut, heute kann ich sofort über Youtube jedes Video zu jeder Zeit sehen. Ich kann mich nicht entscheiden ob diese Entwicklung positiv oder negativ ist. Fakt ist aber dass Musik nach wie vor eine sehr große Rolle spielt, aber alles durch die Vielfalt und ständige Verfügbarkeit viel kurzlebiger geworden ist.
Alex: Glaubst du, dass man mit Musik etwas bewegen kann, oder ist es falsch ihr so eine tragende Schlüsselfunktion zuzuweisen?
Tommy: Ich denke schon dass man mit guter Musik bis zu einem gewissen Punkt was bewegen kann. Gerade für junge Fans hat man als Band teilweise doch eine gewisse Vorbildfunktion. Sieht man ja an den Klamotten. Fans einer bestimmten Musikrichtung kleiden sich meist auch dementsprechend, aber das ist nur das Äußerliche. Die Musik kann einen ganzen Menschen beeinflussen wenn er es zulässt.
Alex: Wo würdest du die ganze Rockszene in sagen wir mal 20 – 30 Jahren sehen?
Tommy: Ich glaube so weit in die Zukunft kann keiner denken. Das Thema ist so komplex und es ist auch nicht absehbar wies mit dem Musikmarkt wirtschaftlich weitergeht, ich denke da kann man jetzt nicht darüber spekulieren wies in 20 Jahren aussieht.
Alex: Was steht sonst noch für eure Zukunft an?
Tommy: Erstmal eine neue CD, dann sehn wir weiter ;)
Alex: Vielen Dank für deine Zeit! Dir gehört jetzt das Schlusswort an die Fans!
Tommy: Danke Dir für das nette Interview. Vielen Dank auch an alle die uns weiterhin hören und uns die letzten Jahre treu geblieben sind!
Moderation: Alexander Kipke
Wer in das aktuelle Album „Poison Awaits“ von 2010
reinhören möchte, kann dies hier tun:
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