Interview: Sodom

mit Tom Angelripper vom 16. Mai 2013 via Phone
Was macht Musik eigentlich „perfekt“? Ist es die technische oder handwerkliche Fähigkeit, mit der der Komponist – oder Songwriter – Emotionen und Metaphern in kleine schwarze Pünktchen mit Hälsen zu verpacken vermag? Oder ist es der Kontext, in dem ein Song entstanden ist? Weil er vom Herzen kam oder aus einer ehrlichen Emotion heraus aufs Papier gebracht wurde, ist er perfekt?
Diese Frage stellt man sich gewiss nicht erst seit dem Aufkommen irgendwelcher neumodischen Bewegungen, die Musik auf ihre Authentizität zu beurteilen versuchen. Nein, schon viel früher stellten sich die Menschen die Frage danach, was Musik perfekt mache. Im Mittelalter, da war diese Idee durch religiöse Werte bestimmt. Wer nach gottgefälligen Strukturen komponierte, der erschuf eine den Moden der Zeit entsprechende, auch wenn vielleicht von Zeitgenossen nicht unbedingt selbst als perfekt bezeichnete, doch ihren Zweck vollständig erfüllende Musik. Für den Herrn war natürlich nur eine perfekt diesen aktuellen Regeln gehorchende Musik angemessen. Klingt doch einleuchtend, oder?
Seit dem 19. Jahrhundert tun sich jedoch ganz neue Dimensionen in dieser Diskussion auf, da nun die Möglichkeit besteht mechanisch und elektronisch einerseits die Ebene der Musik greifbarer zu machen, welche vorher durch die gegebenen wissenschaftlichen Kenntnisse nicht vollständig aufgeschlüsselt werden konnte und andererseits Musikinstrumente zu bauen, die von den menschlichen Spielfähigkeiten losgelöst sind. Ein Ergebnis dieser Zeit sind die unzähligen mechanischen (Reproduktions-)Instrumente, die allerhand für uns Menschen unspielbare Musik vor sich hindudelten.
Ist durch das Erlangen dieses technischen und auch wissenschaftlichen Niveaus die Musik nun perfekter, als sie es zum Beispiel im Mittelalter war? Wie würde sich ein solches Denken, in unsere Zeit übertragen, auf die Musikwelt auswirken? Worin liegt die Vollkommenheit eines bestimmten Songs oder Stückes? Macht nicht gerade die Unperfektheit die Perfektion der Musik aus? Erfahrt selbst, was uns Tom Angelripper - Bassist und Sänger der deutschen Thrash-Veteranen Sodom - dazu und zu vielen weiteren spannenden Themen erzählt hat.
Viel Spaß beim Lesen!

Das Interview:

Alex: Hey Tom! Danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Wie geht es dir denn so?
Tom: Hi Alex, gerne! Sehr gut, danke der Nachfrage.
Alex: Der Grund für all die Interviews, die du gerade gibst, ist ja euer neues Album. Was kannst du uns darüber erzählen?
Tom: Naja, es ist eigentlich ein ganz normales neues Album. Wir haben wieder mit dem gleichen Produzenten zusammen gearbeitet, aber das Wichtigste ist natürlich, dass wir mit unserem neuen Trommler das erste mal ein neues Album gemacht haben, nachdem Bobby Schottkowski damals ausgestiegen ist und wir die In War and Pieces Tour mit Makka schon gemacht haben. Das ist natürlich der größte Unterschied zum letzten Album. Es läuft gerade auch ziemlich super mit der neuen Scheibe. Die Reviews sind durchwegs positiv, worüber ich mich freue.
Alex: Seid ihr denn mit einer bestimmten Erwartungshaltung an diese neue Scheibe herangegangen?
Tom: Was heißt hier "Erwartungshaltung"? Bei den gerade nicht leichten Zeiten ist ja schon jeder Charteinstieg nennenswert und wir sind auf Platz 32 eingestiegen. Wir machen die Musik in erster Linie für uns selbst. Dabei sind wir mit Scheuklappen unterwegs und gucken gar nicht erst, was die anderen machen. Wir ziehen einfach unser Ding durch, so haben wir das aber auch schon immer gemacht. Ich glaube das ist so ein bisschen unser Erfolgsrezept. Dabei versuchen wir uns selbst nicht zu kopieren, aber unseren typischen Spirit trotzdem zu erhalten. Das ist immer sehr wichtig ...
Alex: Ich glaube, dass es in der heutigen Musikindustrie kaum möglich ist wirklich über Jahrzehnte sein eigenes Ding durchzuziehen. Was für Stolpersteine finden sich deiner Meinung nach auf einem solchen Weg, wenn man ihn denn tatsächlich beschreitet?
Tom: Gar keine! Ich sehe das eher umgekehrt ... bei uns gibt es von außen keinerlei Einflüsse. Wir sind authentisch, das ist wichtig, denn wir versuchen uns musikalisch weiterzuentwickeln und dabei neue geile Songs zu machen – aber ohne Druck!
Wir haben uns noch nie von jemandem in der Beziehung Druck machen lassen. Wir haben immer die Musik gemacht, die wir auch selber gerne mögen. Das hat wahrscheinlich auch funktioniert. Wir sind ja jetzt auch wieder bei SPV, nachdem wir jahrelang bei Drakkar und bei Gun Records Ende der Neunziger, Anfang Zwanzig waren. Und im Augenblick läuft es einfach gut. Schau mal, ich bin auch schon fünfzig. Mittlerweile mache ich mir da überhaupt keinen Druck mehr. Das hat der Arzt mir verboten! [lacht]
Alles easy! Man darf das auch nicht so verbissen sehen. Na klar, ich weiß, dass die Leute gesagt haben: "Die neue Kreator ist raus und was weiß ich wer noch. Jetzt seid ihr dran." Ich weiß das, aber wir machen das trotzdem so, wie wir wollen. Nur weil Kreator gerade etwas machen, werden wir doch nicht in die gleiche Presche schlagen. Je mehr wir unseren eigenen Stil entwickeln, umso besser. Und das ist schon das Wichtigste. Wir müssen uns keinem mehr anpassen und wir müssen keinen mehr kopieren oder nachahmen.
Alex: Gerade in dieser Musik ist Authentizität etwas Essentielles. Wie kann man denn mit fortschreitendem Alter authentisch bleiben? Wenn man lange in diesem Genre aktiv war, kommt doch sicher irgendwann auch mal der Wunsch auf, etwas abseits des Thrash Metals zu machen ...
Tom: Ach, ich mache ja nebenbei noch viele andere musikalische Sachen. Onkel Tom zum Beispiel oder auch Dezperadoz damals, wobei das so gesehen im Prinzip die selbe Musik ist. Ich mache das ja noch aus Leidenschaft, dann bleibt man auch authentisch. Ich bin in der Szene sehr bekannt als authentischer und volksnaher Mensch. Ich hebe die Musik ja nicht ganz nach oben. Das ist halt mein Leben und sehr wichtig, aber es ist nicht das Wichtigste. Ich verkörpere da etwas ganz anderes, denn es gibt genug andere Werte. Ich bin auch kein Rockstar oder so. Für mich sind andere Sachen eben wichtiger. Ich sag mal Familie, Freunde, Hobbys und so weiter. Das ist für mich sogar noch höher angesiedelt, als die Musik. Man darf sich von der Musikindustrie nicht so vereinnahmen lassen. Das habe ich noch nie zugelassen. Ich habe immer das eigene Ding durchziehen wollen, da bin ich stur und engstirnig. Aber anders kann man sich heutzutage auch gar nicht mehr durchbeißen. Das geht ja schon seit den letzten zehn, zwölf Jahren so ein bisschen bergab mit der Industrie, habe ich zumindest so das Gefühl ...
Aber wir bleiben uns treu. Und das ist auch sehr wichtig und etwas, womit neuere Bands noch so ihre Schwierigkeiten haben, so einen Standard überhaupt musikalisch zu erreichen. Wir haben das Glück, dass wir '82 relativ früh angefangen haben. Das ging dann auch kontinuierlich weiter. Bei uns gab es keine Pausen und auch keine großartigen musikalischen Veränderungen.
Alex: Der Punkt mit den Prioritäten ist sehr interessant! Wenn man normalerweise Musiker fragt, welchen Stellenwert die Musik in ihrem Leben hat, dann ist es meist das allerwichtigste für sie. Und wenn sie auf Tour sind, dann nöhlen alle herum, dass sie ihre Leute vermissen. Deine Antwort fällt aus diesem Schema raus.
Tom: Absolut! Naja, ich kenne solche Situationen. Touren muss man natürlich fahren, um seine Konzerte zu promoten. Aber ich bin so freiheitsliebend. Natürlich Tourneen machen auch Spaß, aber wenn man so lange unterwegs ist, dann fühlt man sich ziemlich eingesperrt. Ich sag mal so, du wirst aus deinem normalen Tagesablauf herausgerissen, denn die Musik ist nicht mein normaler Tagesablauf. Ich sehe das dann wohl anscheinend ganz anders, als viele andere Musik da draußen. Ich betone auch immer wieder, dass ich mehr bieten kann, als nur die Musik, obwohl das natürlich geil ist. Vor allem, wenn man das Glück hat, davon leben zu können und Berufsmusiker ist, umso besser. Mehr geht heute nicht.
Aber wenn man in den Alltag zurückkehrt, dann ist es auch okay. Andere Sachen sind auch sehr wichtig. Ich bin jetzt dieses Jahr gerade zum Beispiel zum Leidwesen meiner Freunde jedes Wochenende unterwegs. Musik ist eben nicht das Wichtigste. Ich will auch nicht so enden, wie Lemmy oder wie Ozzy. Da habe ich manchmal den Eindruck, dass die gar keine wirkliche Lust mehr haben und deshalb auch keinen echten Enthusiasmus entwickeln. Bei Lemmy kommt's mir vor, als ob er die Setlist vorgelegt bekommt, und er dann wieder an seinem Daddelautomaten ist. Ich will ihm das nicht unterstellen, aber ich habe halt so einen Eindruck. Beim Ozzy habe ich den Eindruck, dass er eigentlich gar nicht mehr so richtig will und auch keine Lust mehr hat ... so will ich nicht werden. Ich will lieber versuchen auch etwas anderes zu machen aber ich will auch weiterhin die Musik machen. Man muss halt einige Abstriche akzeptieren. Deshalb ist es in diesem Jahr so, dass wir keine größere Tournee mehr geplant haben, weil wir jedes Wochenende unterwegs sind. Morgen fliegen wir zum Beispiel nach Mexiko, dann spielen wir in Finnland und danach ist Geiselwind dran und es kommen auch noch viele andere Sachen. Das reicht dann auch, so ist das gut. Aber man darf es nicht ganz nach oben schrauben ... das habe ich noch nie gemacht.
Alex: Was würdest du denn den Leuten sagen, die sich einen heute vielleicht tatsächlich uninspirierten Ozzy Osbourne zum Vorbild nehmen?
Tom: Das ist nicht leicht, denn er hat natürlich eine blendende Karriere aufgebaut. Ich meine Black Sabbath waren eine der ersten Bands, die die typischen Rocksongs gemacht haben. Die Historie dahinter ist einfach gigantisch. Aber wenn man sich heute mal den Mann anguckt ... ich habe ihn vor zwei Jahren auf dem Wacken gesehen und ich fand es grauenhaft. Ich dachte mir: "Cool das ist ja Ozzy. Ich habe noch ein bisschen Zeit, da husch ich doch kurz zur Bühne." Letztendlich finde ich, dass es ein ziemliches Trauerspiel war. Irgendwann muss doch auch mal gut sein. Irgendwann muss man doch sagen: "Wir haben die beste Zeit gehabt. Wir haben geile dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre gehabt", aber irgendwann muss doch mal gut sein. Dass die dann weitermachen, hat bei vielen von denen noch andere Gründe. Die haben dann zum Beispiel einen gewissen Lebensstandard entwickelt, den sie unbedingt halten müssen. Das verstehe ich natürlich auch, aber ich sagte mal zu einem Kumpel: "Lasst den Mann doch einfach mal in Ruhe auf der Couch liegen." Der hat doch genug geleistet und jetzt ist es nur noch ein Trauerspiel. Und viele - wie man jetzt bei Jeff Hanneman gut sehen kann, der mit 48 gestorben ist - gehen einfach an den Drogen und am Alkohol schon ganz jung völlig kaputt. Ich möchte nicht so enden, auf keinen Fall! Ich möchte nicht diesen klassischen Rock'n'Roll-Tod erleiden. Wegen irgendwelcher Drogen im Hotelzimmer kaputt zu gehen ... das darf auf keinen Fall sein. Wie gesagt, Musik ist wichtig im Leben, aber nicht das Wichtigste. Ich werde mir das auch nicht zu sehr ans Bein binden. Aber es geht ohne Musik auch nicht, das weiß ich natürlich auch. Man muss die Prioritäten richtig setzen und realisieren, dass das Leben auch noch andere Seiten zu bieten hat.
Alex: Dann lass uns mal das Thema wechseln. Kai Hansen hatte mal erzählt, dass er damals in den Anfangsjahren wohl Schwierigkeiten damit hatte gleichzeitig zu singen und Gitarre zu spielen. Du singst auch und spielst Bass. Hat es bei dir von Anfang an geklappt, dass du Bass und Gesang gleichzeitig beherrscht hast?
Tom: Ne! Es gibt ja Bassisten, die das perfektionieren. Ich sag mal: Es gibt Bassläufe, die entgegen dem Gesangsrhythmus laufen. Da habe ich auch manchmal meine Schwierigkeiten mit. Es gibt Songs, da bin ich ganz ehrlich, die kann man live nicht so rüberbringen, wie sie auf dem Album zu hören sind. Solche Bassisten, wie Geddy Lee von Rush oder Peavy von Rage sind Musiker, die das sehr gut können. Aber man kann es natürlich trainieren. Man kann es schaffen, aber es ist nicht einfach. Wenn du einen Rhythmus entgegen dem gespielten Rhythmus singst, dann sagt die Hand normalerweise nein und will das spielen, was aus deinem Mund kommt. Naja, ich kann das, aber das muss man tatsächlich üben, dass wen du irgendwas singst, du gar nicht darüber nachdenkst und Bass spielst, oder umgekehrt. Wenn man das oft live spielt oder im Probenraum übt, dann kann man das auch schaffen. Bei wenigen Songs geht das gar nicht, die muss ich dann umbauen, anders arrangieren, irgendwie uminterpretieren oder ganz weglassen.
Alex: Und was ist mit den spielbaren Songs, die man 1:1 von der Platte übernehmen kann? Wachsen die auch noch auf der Bühne, dass ihr vielleicht etwas dazu packen oder wegnehmen wollt?
Tom: Natürlich. Das ist ja klar, wenn du direkt aus dem Studio kommst und dann live spielst, dann kommt die Routine mit der Zeit hinterher rein. Bei „Stigmatized“, „S.O.D.O.M.“ oder „Into the Skies of War“ muss ich immer noch überlegen, das ist noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Da achtest du in dem Moment live einfach nur, dass es sitzt. Wenn ich jetzt „Mortal Way Of Live“ oder „Bombenhagel“ spiele, dann denk ich gar nicht mehr drüber nach. Da kann ich mich dann auch auf andere Sachen konzentrieren. Das ist ja klar, in dem Moment ist man dann auch routinierter. Man weiß, wo die Griffe sind, wie man sich bewegen kann, aber das Wichtigste ist dann, dass es live oft ein bisschen schneller, ein bisschen flotter rüberkommt. Da ändert man hier und da auch mal was. Das ist klar, ein Song wird ja niemals gleich gespielt. Auf keinem Konzert spiele ich einen Song gleich, die sind dann immer etwas anders.
Alex: Es gab in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine musikalische Strömung, die durch die Loslösung der Instrumente vom menschlichen Können eine perfekte Musik kreieren wollte. Dazu gehörte dann zum Beispiel das Komponieren von für Menschen unspielbaren Stücken für Selbstspielklaviere. Die Idee dazu kam dadurch auf, dass ja gerade die Live-Musiker ein Stück niemals genau so reproduzieren können, wie es mal war. Deshalb hat man versucht mit mechanischen Musikinstrumenten die Musik vom Menschen unabhängig(er) zu machen. Was hältst du davon?
Tom: Natürlich gar nichts! Bei manchen Bands, ich will hier natürlich keine Namen nennen, da weiß man ja, dass zum Beispiel deren Gitarren eingespielt werden ... aber was heißt in diesem Zusammenhang überhaupt mechanisch? Solche Rollenklaviere? Wenn man so etwas auf Gitarren übertragen könnte, dann würde das doch die ganze Musik kaputt machen. Ich denke, dass die Musik in erster Linie vom Live-Feeling lebt. Sie lebt auch davon, dass man dann Live etwas improvisiert und es dann anders klingt, als auf Platte. Sei es schneller, brutaler oder noch emotionaler ...
Davon lebt das doch einfach! Ist doch klar, dass wenn man im Studio einen Song aufnimmt, dass das erst mal nur ein Vorschlag ist. So könnte der Song halt sein. Deshalb bin ich gar nicht dafür, gerade bei der Musik, die wir machen. Das sollte auch wirklich live sein. Klar, man verspielt sich hier und da mal, aber die Musik stellt gar nicht den Anspruch live perfekt zu sein. Wenn wir Live-Spuren mal durchhören, dann denke ich mir auch manchmal: "Boah, was hast du da gespielt?!" Ist doch klar und irgendwie auch logisch, dafür ist es ja live. Wenn es perfekt gespielt werden würde, wie zum Beispiel auf einem Album, dann würde es das alles kaputt machen. Wenn es so klingt, wie auf dem Album, dann braucht ja auch keiner hingehen. Ich hoffe nicht, dass sich so ein Trend mal etabliert. Gerade bei Metal - und Rockmusik geht das einfach nicht. Da schwankt dann auch das Timing und man spielt um einiges dynamischer. Das finde ich dann atemberaubend.
Manchmal da schreit ein Song ja einfach danach, dass man ihn etwas verändert. Dafür ist die Live-Situation dann auch da. Wenn dann mal bei uns eine zweite Gitarre oder Overdub-Gitarren fehlen, dann ist es einfach so.
Alex: Also wird Musik erst perfekt, wenn sie nicht perfekt ist?
Tom: Ich finde Musik ist erst perfekt, wenn die Leute damit etwas anfangen können. Wenn den Leuten bei einem neuen Album die Texte und die Songs gefallen und wenn man damit dann auch etwas bewegen kann. Wenn man damit Gefühle erwecken kann, dann ist Musik perfekt.
Alex: Was hältst du denn von Bands, wie den Scorpions, die für sich beanspruchen sogar politisch etwas bewirkt zu haben?
Tom: Na, ich weiß nicht, ob die politisch so viel bewirkt haben. Ich glaube die Mauer wäre so oder so gefallen. Die hatten wohl einfach Glück gehabt, dass sie zu dem Zeitpunkt einen solchen Hit gelandet haben. Wahrscheinlich auch darauf hingearbeitet ...
Alex: Interessanterweise wurde "Wind of Change" ja erst danach veröffentlicht ...
Tom: Das stimmt! Aber wenn man den Klaus Meine oder Campino von den Toten Hosen auch mal in irgendwelchen Polit-Talkshows sieht, dann ist es schwer einzuschätzen, welche wirkliche politische Wirkung dahinter steckt und wie viel damit dann tatsächlich bewegt wurde. Ich weiß es nicht. Ich würde auch gerne politisch etwas bewegen, aber ich habe dafür als Musiker keine Zeit. Wenn ich Politiker wäre, dann würde ich auch versuchen etwas zu machen, aber als Musiker? Natürlich, ich kann irgendwelche Missstände ansprechen - so wie bei den neuen Texten - und meine Wut darüber auf der Bühne herausschreien, aber politisch werde ich dadurch nichts ändern können. Am meisten kann man wohl ändern, wenn man wählen geht. Na klar, auch unter Musikern hat sicher jeder seine Verbesserungsvorschläge. Der Klaus ist aber, glaube ich, gar nicht so Politik betont. Er war mal mit Gerhard Schröder auf einem Foto oder so ... das kann schon sein. Ist vielleicht auch so ein bisschen Propaganda?
Alex: Was hältst du denn von der aktuellen Politik in Deutschland?
Tom: Ich weiß nicht, wirtschaftlich bewegt sich Deutschland gen Boden und politisch geht das auch alles irgendwie in eine ganz andere Richtung, als wie wir uns das vorgestellt haben. Ich glaube es war ein Fehler die Europäische Union einzuführen. Die EU-Osterweiterung war ein Fehler. Dass die Mauer gefallen ist, das habe ich ja noch verstanden, aber mehr auch nicht. Und dass Deutschland jetzt den Kopf für alle hinhalten muss, die die letzten Jahrzehnte eine Misswirtschaft betrieben haben, das kann einfach nicht sein. Das muss ich kritisieren. Es ist klar, jeder sieht das in seinem eigenen kleinen persönlichen Umfeld. Ein Kindergarten geht zu, eine Schule wird geschlossen und für alles andere haben sie Geld? Das kann einfach nicht sein und das gefällt mir nicht. Aber welche Partei kann das schon ändern? Daran habe ich auch so meine Zweifel ...
Ich selbst kann mich eigentlich nicht beschweren. Ich habe einen guten Job und lebe von meiner Musik, verdiene damit mein Geld. Aber ich habe auch viele in meinem Bekanntenkreis, die wirklich nur Hartz IV kriegen und gar keine Perspektiven mehr haben. Ich will ehrlich gesagt gar nicht wissen, wie es in den nächsten zwanzig Jahren aussehen wird.
Alex: Manchmal hat man das Gefühl, dass die Politiker im Bundestag den Sinn für die Realität verloren haben. Was würde wohl passieren, wenn man sie regelmäßig Face-To-Face mit den Menschen zusammensetzen würde, die wirklich Probleme haben?
Tom: Ja klar, das versucht doch jeder von denen auch irgendwie zu vermeiden. Weißt du, bei den aktuellen Streuerhöhungen hoffe ich, dass die das verkacken. Weißt du viele Rentner, die ihren Rentenbescheid kriegen und für vier Jahre nachzahlen müssen, die wissen einfach gar nichts von irgendwelchen Steuern. Meine Mutter ist auch Rentnerin, wieso muss sie auf einmal Steuern bezahlen? Da gehen sie dran, aber an die ganz großen Fische trauen sie sich nicht. Das ist das Problem, das wir haben. Und bei so einer Entwicklung weiß ich echt nicht, wo das noch hinführen soll. Aber der Deutsche ist ja nicht so, dass er auf die Straße geht, um gegen solche Sachen zu protestieren. Wir demonstrieren halt für irgendwelche Gewerkschafts-Geschichten.
Ich weiß wirklich nicht, wohin diese Reise gehen soll und was dann unsere Enkel oder Kinder dann noch vom Leben haben werden und was die hier überhaupt tun sollen.
Alex: Klingt alles nicht sehr optimistisch! Lass uns lieber über etwas anderes reden. Du warst ja mal Teil des Projekts „Bassinvaders“. Gibt es da noch irgendwas zu erzählen, wird da noch was passieren, oder ist es eigentlich tot?
Tom: Ich glaub das ist tot, das Ding war ja auch ziemlich erfolglos Die Idee fand ich aber super! Ich fand es wirklich geil das so zu machen und mit diesen Musikern zusammen zu arbeiten. Vielleicht war es einfach die falsche Plattenfirma, mit der wir zusammengearbeitet haben, aber die Kritiken passten auch nicht. Jede zweite Rezension bemängelte, dass die Gitarren fehlen. Das war uns ja klar, aber wir wollten zeigen, dass ein Bass auch wie eine Gitarre klingen kann oder ein Bassist auch so spielen und von sich aus Songs schreiben kann. Das war eigentlich die Grundidee dabei. Live war das leider auch ziemlich erfolglos, weshalb ich nicht denke, dass es da einen zweiten Teil geben wird. Aber ich bin froh, dass ich dabei war und dafür genommen wurde. Da bin auch sehr stolz drauf, denn die beiden Songs, die ich geschrieben habe, finde ich super.
Tja, ich habe seitdem auch nichts mehr davon gehört und keine Verkaufszahlen vorgelegt bekommen oder mitbekommen, dass irgendwelche Live-Angebote kamen. Ich glaub das war dann einfach so ein kleiner Baustein in meiner Karriere. Die Songs waren geil, da kann man nichts sagen - auch was die anderen Jungs abgeliefert haben. Ich fand es super, aber wie man das dann live rüberbringen sollte, wäre auch eine andere Geschichte, dann müsste dann jeder abwechselnd Parts des anderen übernehmen. Aber das Album ist bei den Leuten einfach nicht angekommen. Die haben das einfach nicht kapiert. Gerade solche Bassisten wie bei uns, also der Peavy von Rage, Markus von Helloween oder der Schirmer, das sind einfach schillernde Gestalten. Die spielen ihren Bass wie kein anderer. Ich finde das Ende ehrlich gesagt total schade, weil ich mir da mehr erhofft habe.
Alex: Wie viel Entertainer oder Showmaster muss man als Musiker auf der Bühne eigentlich sein?
Tom: Oh, ganz viel! Und natürlich Schauspieler ... das muss man einfach sein. Man muss mit den Leuten arbeiten und mit den Leuten spielen. Die Leute müssen ja Spaß haben, wenn sie dich sehen. Weißt du, ich kann das ja ganz gut und habe auch keine Berührungsängste auf der Bühne. Man muss dem Publikum einfach das Gefühl geben, dass man in dem Moment nichts besseres ist, bloß weil man da oben auf der Bühne steht. Man muss ihnen das Gefühl vermitteln, dass man gleichwertig ist und in dem Moment einfach die Musik liebt und lebt. Das ist dann der einzige Unterschied.
Also ich bin schon ein Entertainer und kann gut mit Leuten arbeiten. Wie jetzt auch bei Onkel Tom, wo wir auf der Wacken Cruise gespielt haben. Ich habe die Leute ins Set einbezogen, die konnten mitsingen und ich bin auch mal reingegangen und habe den einen oder anderen Witz erzählt meine Situationskomik halt. Das ist schon sehr wichtig. Wenn man da so dröge steht und nichts rüberbringt, dann wird auch ein Schauspieler nicht erfolgreich sein. Aber ich bin ja wirklich so und muss mich dafür nicht verstellen.
Alex: Du hast doch den Dee Snider von Twisted Sister sicherlich mal irgendwo on Stage gesehen, oder?
Tom: Ja, letztens erst in Südamerika auf unserer Tour ...
Alex: Der hatte ja erzählt, dass er auf der Bühne total verrückt und abgedreht, dafür aber im normalen Leben sehr ruhig ist. Kannst du bei dir so etwas auch beobachten?
Tom: Ja, das kann ich. Der Dee Snider geht aber auf der Bühne ab wie ein Derwisch. Das bringt einfach die Musik und so war er schon immer. Hinter der Bühne ist er dann auch sehr besonnen. Ich bin aber auf der Bühne nicht ganz so derbe drauf. Ich denke natürlich darüber nach, wie man das am besten performt und die Songs auf der Bühne interpretiert. Ich bange ja nicht zu Hause, wenn ich koche ... aber es stimmt schon, zu Hause bin ich ein ganz anderer, als auf der Bühne. Oder wenn ich als Jäger auf der Jagd bin, dann ist das etwas ganz anderes. Wenn ich dann aus Südamerika von einer Tour zurückkomme und bei mir im Jagdrevier auf dem Hof sitze, dann sind das zwei völlig verschiedene Welten. Das sind sogar zwei extreme Gegensätze. Aber in dem Moment auf der Bühne ist natürlich klar, dass man mitspielen muss. Da mache ich das auch gerne.
Alex: Kann man das denn pauschal als "Dampf ablassen" bezeichnen, oder steckt mehr dahinter?
Tom: Ach, ich lasse schon den ganzen Tag über genug Dampf ab! Das ist ja auch ein bisschen Sport und nach so einer Show ist man dann auch richtig erschöpft. Ich hoffe, dass es die Fans dann auch sind. Aber für ein Dampf ablassen aus Aggressionsgründen bin ich doch noch zu wohlgesonnen. In dem Moment, wo ich den Songs spiele, lebe ich ihn auch. Ich höre dann auch den Song, wie ein Außenstehender direkt neben mir selbst und bange dann dazu. Sobald das Intro auf der Bühne läuft oder man drauf steht, legt sich so ein Schalter im Kopf um. Das Lampenfieber muss auch abgeschaltet werden, wenn man noch welches hat. Dann ist es klar, man steht vor ein paar Tausend Leuten und will sich nicht blamieren und irgendwann kommt halt die Gewisse Routine da rein, dass es zuverlässig funktioniert.
Alex: Man sieht ja immer wieder - vor allem junge Bands - die stockbesoffen und mit schlechter Technik auftreten. Hattet ihr, vielleicht in den Anfangsjahren, auch solche Shows, wo ihr rückblickend denkt, dass das nicht hätte sein müssen?
Tom: Ja, wir waren früher oft besoffen. Bei unserer ersten Show in Frankfurt 1984, da waren wir total besoffen. Und trotzdem haben wir da einen Plattenvertrag gekriegt, weil einer von 'ner Plattenfirma im Publikum war. Früher haben wir so viel gesoffen, dass ich auf der Bühne hingeflogen bin. Manchmal bin ich wirklich über meine eigenen Füße gestolpert. Klatsch lag ich da! Das war der Hammer ...
Wir hatten damals so ein Lampenfieber gehabt, dass wir einfach nicht anders konnten, als vor den Konzerten zu saufen. Im Laufe der Jahre merkte man dann aber, dass die Show nicht besser wurde, wenn man besoffen auf der Bühne steht. Ich selbst habe dann so eine Routine entwickelt, dass ich vor der Show gar nichts mehr trinke - nicht ein Bier mehr. Es gibt dann Musiker, die nehmen Kokain oder Speed vor der Show und manche von denen können ohne gar nicht mehr. Aber dieser Kelch ist zum Glück völlig an uns vorbeigezogen. Wenn ich mich jetzt drauf verlassen müsste mein Speed oder mein Koks zu haben, um mein Lampenfieber zu besiegen, dann bräuchte ich auch keine Musik mehr machen. Jetzt in dem Moment, wo ich die letzten zwanzig Jahre nüchtern auf der Bühne stehe, kann ich das alles viel besser genießen. Ich muss das zwar alles präsentieren, aber ich will nach der Show auch sagen können: "Ja das hat mir Spaß gemacht! War geil!" Und in dem Moment, wo du betrunken warst, kriegst du das gar nicht mehr mit, ob irgendwas geil war oder nicht. Der Bernd trinkt vor jedem Konzert eine Pulle Bier, das sei auch jedem gegönnt, aber mehr auch nicht. Mehr gibt es bei uns nicht.
Alex: Und wie ist es mit kleinen kreativen Helfern im Studio?
Tom: Gar nichts, auch da keine Drogen! Ich habe während der gesamten Produktion nicht ein Bier getrunken.
Alex: Und was hältst du von Ozzys tiefem Griff in die Drogenkiste für die Produktion des neuen Albums „13“?
Tom: Ne, so was brauche ich nicht! Mit Drogen habe ich auch vor oder nach der Show nie etwas zu tun gehabt. Ich bin auch einer der wenigen Musiker, die nicht tätowiert sind und die keine Drogen nehmen. Sowas wäre ja manchem peinlich, dass er dann doch mitzieht, aber ne ... lass mal. Ich trinke nach der Show ein Bierchen und das war's dann. Mit so etwas hatte eigentlich bisher keiner von uns etwas zu tun gehabt. Oder zum Beispiel kiffen, wenn ich vor der Show kiffen würde, dann wäre mir am Ende egal, ob ich überhaupt auf die Bühne gehe oder nicht. Ich würde dann wohl einfach sagen: "Leck mich!"
Sowas kennen wir nicht. Sodom ist halt, auch wenn es nach außen nicht immer so aussieht, ziemlich clean. Unser Alkoholkonsum, wenn wir nach der Show etwas essen oder aufs Hotelzimmer gehen, hält sich in Grenzen. Wenn ich am Wochenenden mit Freunden weggehe, dann trink ich auch mal ein Bierchen, klar. Oder zwei ... das war's dann aber auch. Ich würde nie auf die Idee kommen mitten unter der Woche ein Bier aufzumachen. Das schmeckt mir gar nicht. Ich gebe zu, dass es vor zwanzig Jahren anders war, aber nun bin ich clean.
Alex: Für den Fan ist es ja aus wirtschaftlicher Sicht auch nicht lohnenswert noch mal zu einem Konzert einer Band zu kommen, die so besoffen ist, dass sie on Stage nicht einen Ton trifft.
Tom: Also so was darf nicht sein! Gut, bei der Onkel Tom Show, da mache ich schon mal ein Bier auf und trinke das, aber da bin ich auch textsicher und habe keinen Bass auf der Bühne. Das kommt dann auch sehr authentisch rüber und ist wie ein Showelement verbaut. Aber wenn einer von uns mal besoffen ist, dann geht das gar nicht. Das kam schon mal im Programm vor, dass der Alex ordentlich einen gebechert hatte und dann sagten wir ihm: "Okay, sieh zu, dass du das ordentlich spielst und den Rest überlässt du mir."
Alex: Das klingt alles sehr interessant. Leider ist die Zeit auch schon wieder rum ...
Tom: Ja, ich habe schon den nächsten in der Leitung ...
Alex: Alles klar, danke für deine Zeit und für das Interview. Alles Gute!
Tom: Danke, dir auch. Vielleicht läuft man sich ja mal über'n Weg. Schönen Abend noch!
Moderation: Alexander Kipke

Kommentare von Besuchern

17. September 2014, 17:09
Maik sagt:
Interessantes Interview! 20 Jahre nüchtern auf der Bühne? Ich habe Onkel Tom 2007 an Vatertag besoffen von der Bühne fallen sehen. Nachdem er aus dem Krankenhaus wieder da war haben wir Backstage noch ne Flasche Whiskey getrunken.
29. Juli 2013, 18:18
Alex sagt:
Tolles und wirklich interessantes Interview! Ich habe SODOM schon immer wegen ihrer unaufgesetzten Authentizität gemocht. Das Interview zeigt diese Seite einmal mehr. Und nebenbei: "Persecution Mania" war eines der wirklich wichtigen Trash Alben meiner Jugend.

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