Sonata Arctica – Stones Grow Her Name

Kritik von: Arne Luaith
Album-Cover von Sonata Arcticas „Stones Grow Her Name“ (2012).
„Episch! Und doch … irgendwie deplatziert. Ein wenig wie Mozart im 8. Jahrhundert.“
Interpret: Sonata Arctica
Titel: Stones Grow Her Name
Erschienen: 2012
Hach, Sonata, vade retro … ? Seit die Mannen um Falsett-Talent Tony Kakko anno 2007 ihr 5. Studioalbum „Unia“ veröffentlichten, entfachte ein erbitterter Grabenkampf zwischen den Fans. Auf der einen Seite stehen die konservativen Freunde des klassischen Europäischen Power Metals alter Schule, ihnen gegenüber ergreifen die Musikenthusiasten das Wort, die an hochkomplexen Arrangements, sperrigen Songstrukturen und Track Durations jenseits der 6-Minuten-Grenze ihre helle Freude haben.
Seither hoffen die Einen mit jedem neuen Release unserer finnischen Freunde auf eine Rückbesinnung. Zurück zu den Wurzeln der alten Ecliptica-Zeit. Zurück zu Uptempo-Tracks, die diesen Namen auch ohne 3 Jägermeister auf ex verdienen. Zurück zu den treibenden, hochmelodischen Hooklines eines „Fullmoon“. Was dem einen sein Nachruf, das dem anderen sein Freudgesang. Die Verfechter der progressiven Szene empfidnen die musikalischen Abwege, auf denen Sonata seit nunmehr einem halben Jahrzehnt wandeln, als Bereicherung und stete Weiterentwicklung. Kritikfähig sind dabei beide Seiten erfahrungsgemäß wenig. Stattdessen werden lieber Parolen gedroschen und Fan-itis in ihren schönsten Symptomen gelebt. Also noch einmal: Vade Retro, Sonata Arctica?
Wie schon bei den Tagen der Ergrauten im Jahre 2009 entpuppen sich die Hoffnungen der Altfans jedenfalls auch bei „Stones Grow Her Name“, dem nunmehr siebten Longplayer der Band, als vergeblich. Straighte Power Metal-Tracks sucht der Audiast vergeblich. Kernige Hooklines? Fehlanzeige. Stones Grow Her Name entpuppt sich auch nach mehrmaligem Durchhören als astreine Prog-Scheibe. Wahrlich nicht im Sinne eines Threshold oder Dream Theater, eher wie eine gekonnte Mischung aus Ayreon-Komplexität mit neumodischem Nightwish-Bombast. Dabei gehen die Finnen experimentierfreudig wie lange nicht mehr zur Sache. „Shitload Of Money“ etwa läutet mit seinen Disco-Beats zunächst latente Industrial-Einflüsse ein, um in seinem fast fünfminütigen Klangwald eine Art Rock’n’Roll-Kulisse zu entwickeln, zu welcher Kakko in bester Hard Rock-Manier ein „Yeah“ nach dem anderen hinzukreischt. Leider verliert sich der Track in unzähligen Refrain-Wiederholungen und ebbt dann ohne echte Klimax aus. Doch auch ansonsten zeigen sich die Finnen innovativ ohne Ende. Verträumte Klaviere in „Losing My Insanity“, schmachtende Streicher im tränenrührend-schmalzigen „Don’t Be Mean“, ja selbst das vielgerühmte Banjo in „Cinderbox“ – dem wohl skurrilsten Track der Scheibe – wirken wie aus einem Guss in den epochalen Klangwald gegossen und zeigen die Vielseitigkeit der Finnen von ihrer besten Seite. Nichts wirkt aufgesetzt, alles ist an Ort und Stelle.
Und doch! Die Songs zünden einfach nicht. Zwar scheint mir Stones Grow Her Name insgesamt etwas weniger sperrig als noch The Days Of Grays, die gesamten Kompositionen kranken aber an genau derselben Stelle, wo mich schon Unia die Nase rümpfen ließ. So verstehen es Sonata Arctica schlichtweg wie keine andere Band, in technischer Perfektion hochkomplexe Songstrukturen zu schaffen, nach allen Regeln der Kunst Instrumente und Tonfolgen unterschiedlichster Façon zu einem butterweichen Gemenge zu verschmelzen und ihre Lieder in jedweder Hinsicht bis an den Rand des Denkbaren auszukomponieren … und dabei doch gleichzeitig einen plakativen Bogen um jede Form von Eingängigkeit oder Hookline zu machen. Dabei zeigten sie mit Wildfire doch bereits 2004 selbst, dass sich Progressivität und geniale Melodiebögen keinesfalls ausschließen. Solche Musik wollen die Finnen scheinbar partout nicht mehr komponieren. Schade drum! Kamelot 2.0.
Man tut sich nun schwer damit, dieses Album zu zerreißen. Und wahrlich, es ist wie schon „The Days Of Grays“ alles andere als schlecht! Gleichzeitig zähle ich mich zu keiner der beiden Hauptfronten, habe sowohl am Progressive Metal wie auch an guten Power-Tönen meine Freude. Dennoch bleibt Stones Grow Her Name ein irgendwie obskures Konstrukt. Technisch beste Handwerkskunst vermengt mit ungebändigter Spielfreude, innovativer Ideenfülle und einer astreinen Abmischung trifft auf … belanglose Strongstrukturen ohne Höhepunkte und mit teilweise abstrus plakativen Melodiebrüchen und Zwangs-Progressivitäten. Sonata scheinen sich tatsächlich mehr und mehr im Sumpf der forcierten Komplexität zu verlieren, ihr einstmaliges Händchen für atemberaubende Refrains haben sie eingebüßt oder mit Absicht in Frührehnte geschickt. Stattdessen gibt es ein Kunstwerk der Avant-Gard, an dem Arnold Schönberg seine wahre Freude gehabt haben dürfte! Für Audiasten ein Must-have – aber ob der Otto-Normal-Metal-Hörer mit derlei gussepochaler Bombastik allzuviel anzufangen weiß? Letztlich ist Komplexität nicht gleich Progressivität.
Eines muss man den Finnen aber lassen: Sie haben es seit ihrem Stilbruch im Jahre 2007 tatsächlich geschafft, sich einen absolut einzigartigen Sound zu kreieren. Bereits vor eineinhalb Jahren ersponn ich mir für „The Days Of Grays“ das Genre des „Cinematic Metals“ und fühle mich darin auch bei Stones Grow Her Name mehr als bestätigt. Ein Sound, der die Band sicherlich überleben wird. Ob nun in der Manier des Blues oder nicht doch eher als Zwölftonmusik, das liegt wohl an den Fans zu entscheiden.
Bis dahin bleibt ein fachlich unglaublich ausgefeiltes und gleichzeitig gerade dadurch ungemein schwergängiges Meisterwerk zeitgenössischer Musikrandkultur. Episch! Und doch … eigenartig. Irgendwie deplatziert in der hiesigen Musikszenerie. Ein wenig wie Mozart im 8. Jahrhundert.
 
Score:
75% Gut.

Kommentare von Besuchern

28. Juni 2012, 9:22
Sandra sagt:
Ich hatte bisher an allen SA-Alben Freude, da mir sowohl der frühe Powermetal als auch die episch-progressiven Alben UNIA und THE DAYS OF GRAYS sehr gelegen haben. Dieses Album aber...ich weiß nicht. Das ist irgendwie...nichts. Keine Melodien, die ins Ohr gehen, keine wirklich aussagekräftigen Lyrics, die mittels Prog Elementen zu einer musikalischen Geschichte aufleben, der Mix ist meiner Ansicht nach grottig auf Einheitsbrei getrimmt (Wo bitte ist die Stimme von Tony, welche in den bisherigen Mixes herausstehend war?!) Belanglos, vorbeischippernd, ohne Tiefe. Das sind nicht die Sonata Arctica, von denen ich Fan geworden bin!!!

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