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Interview: Andi Deris

vom 9. November 2013 via Phone
Andi Deris ist ein Name, den man eigentlich nicht großartig vorstellen braucht. Als langjähriger Sänger der Band Pink Cream 69 und der Power Metal-Legende Helloween konnte sich der Karlsruher schon vor Dekaden einen Namen machen. Auch als Solo-Artist hat Andi zwei Alben aufgenommen, deren Veröffentlichung jedoch in den Neunzigern zurückliegt.
Seit dem ist viel passiert … die dritte Keeper-Scheibe wurde veröffentlicht, was im Vorfeld unter Fans zu langen Debatten führte, ob man eine so erfolgreiche Albenreihe mach fast zwanzig Jahren mit einem neuen Sänger und diversen anderen neuen Bandmitgliedern überhaupt antasten darf. Seitdem folgte eine kontinuierliche Steigerung von Album zu Album, bis 2010 mit 7 Sinners der Punkt erreicht war, an dem man als Hörer kaum noch glaubte, dass es höher gehen konnte. Doch es ging noch höher … weit höher. Mit Straight Out Of Hell konnte 2013 die bisher erfolgreichste Platte in der Geschichte der Band präsentiert werden. Selbst die Keepers-Scheiben verblassten daneben für viele zu einer weit in der Vergangenheit zurückliegenden und kaum greifbaren Phase in der Geschichte der Band.
Und in diese Zeit des Erfolgs, fällt nun die Veröffentlichung von Andi Deris drittem Solo-Album. Als Andi Deris And The Bad Bankers legt uns der Power Metaller nun „Million Dollar Haircuts On Ten Cent Heads“ vor. Was es mit der Scheibe auf sich hat, wie viel Sozialkritik sie wirklich enthält und wie Andi die wirtschaftliche Welt und Politik sieht, das erfahrt ihr im Interview.
Außerdem berichtet er uns von seinem Traum von der perfekten Helloween-Show, in der auch Michael Kiske endlich wieder mit den Recken aus den alten Tagen on Stage stehen würde. Doch wird es so eine Show jemals geben? Was steht ihr augenblicklich im Wege? Wie es sich gehört, wird nach dem Motto „Nach der Tour ist vor der Tour“ auch schon ein bisschen über das neue Album philosophiert. Wer weiß, vielleicht wird sich ja eine Gelegenheit bieten, den dreistündigen Helloween-Epos auf die Bühne zu wuchten. Wir warten gespannt.
Viel Spaß beim Lesen!

Das Interview:

Alex: Moin Andi, wie geht's?
Andi: Hi Alexander! Gut, habe ich dich warten lassen?
Alex: Nein, ganz und gar nicht.
Andi: Dann haben wir das ja perfekt getimed! Dein Vorinterviwer war anscheinend so lieb auf die Uhr zu gucken. Er hat nur gemeine: „Ach, das war das perfekte Schlusswort.“ Ich guck auf die Uhr, oh perfekt. Ich verplapper mich ja immer sehr gerne! Aber du bist jetzt der letzte, deshalb haben wir keinen Zeitdruck.
Alex: Die Letzten werden die Ersten sein! Dann lass uns loslegen. Dein neues Solo-Album „Million Dollar Haircuts On Ten Cent Heads“ ist sozial-kritisch betrachtet recht schwere Kost …
Andi: Ja, hier und da ... es geht musikalisch wie auch textlich ziemlich brutal zur Sache. Es ist natürlich sozial-kritisch. Auf jeden Fall, aber ich glaube, dass da auch der eine oder andere humorvolle Track dabei ist. Es soll einfach in eine Richtung zeigen. Ich gehe da auch ein bisschen auf mich selbst ein, denn ich bin auch nicht ohne Fehler. Im Grunde haben wir alle die gleiche Krankheit, wie die Manager da oben auch, da wir im kleinen genau das gleiche tun. Es ist eben eine Krankheit, die der Mensch nun mal hat.
Alex: Ich hatte mit Michael Kiske gerade vor einigen Tagen über die gleiche Thematik gesprochen: Was wird kommen, wenn sich der Turbokapitalismus in den Schwanz beißt?
Andi: Ist mir egal. Das tut er ja gerade schon. Du siehst ja, die Krise hat 2007/2008 angefangen und nun, fünf Jahre später, hat die Politik immer noch nicht die nötigen Gesetze gemacht. Die Banken tun auch und spielen immer noch, was sie wollen, obwohl die wirtschaftliche Situation immer noch angespannt ist. Letztendlich hat die Politik damit nur gezeigt, dass sie auch ein Teil von der Scheiße ist. Die sind eigentlich diejenigen, die nach ihrer politischen Karriere wahrscheinlich auch wieder durch Vetternwirtschaft und Korruptionskontakte die sie geknüpft haben fett abstauben. Das liegt auf dem Tisch. Es wird noch gefährlich werden, denn es ist noch alles gar nicht da, wohin es kommen wird.
Alex: Hast du als Künstler denn die Aufgabe mit deiner Musik in einer solchen Situation etwas wirklich zu verändern, oder nur aufzuzeigen, dass etwas falsch läuft?
Andi: Weder noch ... für mich war es nur wichtig, als Künstler mir meine Gedanken runter schreiben zu dürfen und das dann tatsächlich in Musik zu verpacken. Das ist tatsächlich ein Privileg, das ich genieße, weil ich meinen Gedanken Luft machen kann. Ich kann mit dir reden, ich kann mit anderen Reden und dementsprechend Luft ablassen. Das ist wirklich genial, denn die meisten können es sich im Leben kaum leisten in der Größenordnung ihre Meinung zu sagen. Aber ob das was bringt?
Weißt du, einer in Frankreich hat wirklich zu mir gemeint: „Selbst wenn nur einer der heute zwanzig oder achtzehn Jahre alt ist und deine Platte heute hört und gut findet später mal Politiker wird, könnte sich an die Texte von dir erinnern und kann dann vielleicht moralisch/ethisch korrekt agieren. Damit hätte ich mit dieser Platte schon mehr Einfluss gehabt, als andere in ihrem Leben jemals hatten.
Alex: Was ich mich bei Künstlern immer frage ist, ob - wenn ihr euer Lebenswerk in seiner Gesamtheit betrachtet - ihr mit dem Gedanken spielt, dass diese Musik in zwei oder drei Jahrhunderten nicht mehr abspielbar sein könnte und damit für immer verstummen würde?
Andi: Das würde voraussetzen, dass wir uns als Menschen in die Steinzeit zurück bombardieren. Das ist durchaus etwas, das passieren könnte - das will ich gar nicht abstreiten. Aber ne, soweit gehe ich gedanklich nicht. Ich nehme mich auch nicht so wichtig, als dass ich da in zwei- oder dreihundert Jahren immer noch gehört werden sollte. Ist mir eigentlich wurscht. Ich bin eigentlich ein Live-Now-Typ und lebe im Jetzt. Das Einzige, was ich mal mache ist, dass ich vielleicht mal in die Vergangenheit gucke, um zu sehen, wie es damals war.
Alex: Deine letzte Solo-Scheibe ist ja 1999 erschienen. Würdest du sagen, dass der Andi Deris von damals im Vergleich zu Andi Deris heute musikalisch zu einem anderen Menschen gewandelt wurde oder bist du immer noch der gleiche Mensch, bloß mit ein paar anderen Klängen im Repertoire?
Andi: Das kann ich dir eigentlich fast nicht ehrlich beantworten ... musikalisch habe ich mich bestimmt in gewissen Eckpunkten verändert, vielleicht die Gewürze der letzten zehn Jahre immer wieder mitreingenommen. Es gibt nämlich immer wieder geile neue Bands und alles was man gerne hört, wird in irgendeiner Form zum Gewürz der eigenen kreativen Arbeit werden. Und ich denke mal, dass ich nicht ganz frei davon bin und ich will auch nicht ganz frei davon sein. Ich genieße es auch Gewürze von Bands einzubringen, die ich gerne mag. Wie gesagt, ich rede jetzt nicht vom kopieren, aber Inspiration und Gewürze finde ich schon sehr wichtig. Am Ende des Tages will ich ein Fan von dem Song sein, den ich gerade schreibe. Auch wenn es blöd klingt, weißt du sicher, was ich meine? Ich will den Titel, den ich selbst schreibe dann auch gerne selbst zwanzig oder dreißig mal hören und stolz drauf sein, dass er mir gefällt. Ich will auch einfach ein Fan von mir selbst sein. Und das zu erreichen, das ist mein größtes Hobby und so soll es eigentlich auch bleiben. Ich muss nichts schreiben, um andere zu befriedigen.
Alex: Und wenn man das auf die Bandsituation überträgt, dass bei der gemeinschaftlichen Arbeit erst alle zufrieden sein wollen, dann dürfte es sicherlich schwer sein, da auf einen schnellen oder für alle halbwegs akzeptablen Konsens zu kommen, oder?
Andi: Dass jeder komplett zufrieden ist, ist unmöglich. Jeder Song sollte aber schon so weit gehen, dass auch jeder dazu abrocken kann, der ihn nicht unbedingt extrem mag. Das sollte man als Band schon anstreben. Bei Helloween haben wir dafür vor jeder Produktion so drei bis fünf Treffen, bei denen wir den anderen unsere Ideen vorstellen. Und dann ist eigentlich von vornherein klar, wem welche Ideen gefallen.
Da versuchen wir als Band soweit Kompromisse zu machen, dass wirklich jeder auf das fertige Produkt stolz sein kann. Das ist ja auch wichtig, denn mit einer Band, da bist du in einer Gemeinschaft und auf Tour und musst sie auch spielen können. Dabei liegt die Betonung auf "muss", denn bei einem Song den man nicht mag, quält man sich jedes mal, jeden Tag da durch.
Alex: Wir hatten letztes Jahr mit Markus Grosskopf gesprochen und er erzählte uns, dass er mal eine brillante Songidee irgendwo auf einem asiatischen Klo hatte. Ist es bei dir auch so, dass du an eher verrückteren Orten spontan die genialen Ideen bekommst, oder musst du dich dafür irgendwo in Ruhe hinsetzen und konzentrieren?
Andi: Ja das klingt nach Markus! (lacht)
Naja, auf einem Klo kann man sich ja in Ruhe hinsetzen! Ich kann mir wirklich vorstellen, dass man generell auf einem Klo sitzend eine gute Idee haben kann. Da bin ich wohl auch nicht ganz unschuldig und mir ist sicherlich auch schon die eine oder andere Melodie auf dem Klo eingefallen. Das passiert mir auch, ja ... Ob ich jetzt wirklich eine geniale Idee auf dem Klo hatte, das weiß ich nicht. Das kann ich so nicht beantworten. (lacht)
Bei den meisten Titeln weiß ich eigentlich gar nicht, wann und wo ich diese geniale Idee hatte. Das passiert bei mir eigentlich egal wo. Wichtig ist, dass ich schnell einen Stift oder mein Handy zur Hand habe, damit ich dann später im Hotelzimmer noch weiß, was ich mir da gedacht hatte. Ich hatte auch schon mal eine Idee in einem Flieger und hab sie dann aufgenommen und als ich sie dann zu Hause anhören wollte, waren nur die Motorengeräusche des Flugzeugs drauf. Sowas hatte ich auch schon, aber ich habe mich dann trotzdem noch daran erinnern können ...
Alex: Ist es vielleicht auch so, dass diese Songs bestimmte Phasen deines Lebens darstellen?
Andi: Mit Sicherheit, aber das passiert dann wahrscheinlich auch eher unbewusst. Das Unbewusste ist ja das, was am Ende zählt. Die Gefühle und Stimmungen des Tages machen beim Schreiben dann auch die Melodie aus.
Alex: Und wie wichtig ist deiner Meinung nach eine klassische musikalische Ausbildung auf dem Sektor des Hard Rocks und Heavy Metals?
Andi: Ich halte es nicht für wichtig eine komplette Ausbildung zu haben, aber es ist schon wichtig da mal reinzuschnuppern, um zu verstehen, wie das alles klassisch funktioniert. Es ist auch kein Fehler Noten lesen zu können, aber es ist nicht unbedingt notwendig. Es ist auf jeden Fall eine Erleichterung, wenn man es kann. Wenn man Ahnung von Musiktheorie hat, dann ist das sicherlich auch eine Erleichterung, aber ich glaube nicht, dass die Musiktheorie - oder dass die klassische Ausbildung - entscheidend dafür ist, ob man eine tolle Band ist und gute Songs schreiben kann. Es erleichtert aber eben viel. Wenn man Talent mitbringt, dann kann man damit jegliche Ausbildung schlagen. Das ist ziemlich wichtig und daran glaube ich. Allerdings kann Talent allein auch nicht immer reichen.
Einmal in die Ausbildung reinzuschnuppern beschleunigt auch deinen autodidaktischen Weg. Wenn du nur mit Fleiß da ran gehst, wirst du nämlich länger brauchen, bis du gute Songs schreibst, als wenn du es dir beibringen lässt. Andererseits finde ich es auch wichtig, dass man irgendwann wieder abspringt von diesem Zug, weil ich der Meinung bin, dass solche Ausbildungen - wenn sie zu lange gehen - in gewisse Mechaniken einführen, die dann ins Wesen übernommen werden und das Natürliche verfärben. Dann kann man nur noch in dem erlernten Rahmen Songs schreiben. Es ist also wichtig, sobald man die Grundkenntnisse erworben hat, herunterzuspringen von diesem Zug.
Alex: Stellen wir uns mal vor, wir haben eine talentierte junge Band, die fleißig und engagiert dabei ist. Würdest du sagen, dass unter solchen günstigen Bedingungen der Erfolg planbar ist, oder bleibt da dieser Glücksfaktor auf dem Weg nach oben?
Andi: Okay, Glück gehört immer dazu. Es kann natürlich sein, dass du die beste Band der Welt hast, die aber die Musik einfach zur falschen Zeit spielt. Das ist letztendlich immer eine Glücksfrage, ob die Leute dort auf den Zug aufspringen wollen, oder es eher kalter Kaffee ist, den sie da produzieren. Da gehört schon ein bisschen Glück dazu, denn ich glaube nicht, dass das kalkulierbar ist, denn sobald ich anfange das zu kalkulieren und bis ich die Songs dann soweit mit der Band geschrieben und aufgenommen habe, bin ich schon ein Jahr oder sogar anderthalb Jahre weiter und es kann sein, dass diese Kalkül schon längst wieder vorbei ist und eine ganz andere Musik aufkommt. Deshalb glaube ich nicht, dass man im Metal oder Rock so viel Kalkül an den Tag legen kann. Das kann man vielleicht in der Popmusik machen, wo sich Bands und Trends wiederholen. Das ist die Musik in einem neuen Soundkleid, die es eigentlich schon immer gab. Da hat sich nicht viel geändert, deshalb könnte es kalkulierbar sein. Im Rock'n'Roll ist eher Ehrlichkeit gefragt und natürlich das Quäntchen Glück, dass es gerade gehört werden will.
Alex: und was ist, wenn man das im True Metal versucht, in einem Genre, wo eigentlich keine Veränderungen erwartet werden und das eher konservieren soll?
Andi: True Metal ist eine ganz gefährliche Kiste, weil wir noch ganz viele True Metal-Bands haben, also große Namen. Da musst du also schon von vornherein eine außerordentliche Leistung an den Tag legen, damit praktisch der konservative True Metal Fan, der seine zehn Lieblingsbands hat, dich als seine elfte Lieblingsband akzeptiert. Das ist harte Arbeit. Heutzutage spielst du dir dabei wohl eher die Finger wund. Dabei steinigen dich dann auch noch die wirtschaftlichen Umstände und so viele Clubs, in denen man spielen könnte gibt es mittlerweile auch nicht mehr, wie es sie in den Achtzigern gab. Da dreht sich die Katze im Kreis, aber ich glaube es ist alles noch möglich. Ich nehme mal an, dass die jungen Bands heute noch mehr arbeiten müssen, als wir damals in den Achtzigern.
Alex: Wir haben sogar schon mit einigen Künstlern geredet, welche die junge Bands warnen auf gar keinen Fall irgendwelche Plattenverträge zu unterschreiben. Kannst du das nachvollziehen?
Andi: Auf jeden Fall! Das Problem heute ist, dass die Plattenfirmen kaum noch CD's da draußen verkaufen, weil der Markt so dermaßen runtergeballert worden ist, wodurch man kaum Geld oder überhaupt kein Geld mehr in die Hand nehmen kann, um eine Band zu bewerben, zu promoten, oder zu unterstützen. Dementsprechend sehen die Verträge so hart aus, dass Bands auch ihre Konzerteinnahmen teilen müssen oder die Einnahmen vom Merchandise. Die Prozente, die es für verkaufte CD's gibt, sind mittlerweile auch verschwindend klein. Ich glaube ich würde so einen Knebelvertrag, wie sie heute vorherrschen auch nicht mehr unterschreiben. Ich würde es dann lieber versuchen alles auf eigene Faust zu machen.
Alex: Fuchs, der Sänger der Apokalyptischen Reiter sagte uns mal, dass es in der Musik und in den Künsten im Allgemeinen keine Perfektion geben kann, weil das gleichzeitig Stillstand bedeutet. Wäre es also vielleicht richtig, wenn wir in unsere heutige Szene wieder ein bisschen mehr Chaos reinbringen, mit irgendwelchen total verrückten stilistischen Experimenten, damit die vor die Wand gefahrene Karre wieder in Gang kommt?
Andi: Aber das probieren wir ja nun mit den Bad Bankers, wie auch mit Helloween. Da haben wir die letzten Produktionen komplett ohne Computer aufgenommen, was heißt, dass wir wieder mehr so ein wenig in Richtung Chaosprinzip geschunkelt sind. Lass den Schlagzeuger so spielen, wie sein Herz schlägt, sprich wie er den Song fühlt. Und das muss auch nicht alles so perfekt sein, weil ein echter Break gar nicht perfekt sein muss.
Wenn man jetzt nicht computerisiert und der Break ein bisschen wackelt, dann klingt das auch noch viel geiler. Das heißt der kommt viel monströser. Aber heutzutage darf man nicht zu viel Chaos in die Musik reinmachen, weil der geneigte Hörer sehr versaut ist von der Computerproduktion, die da draußen mittlerweile vorherrscht. Das heißt, es ist ein schmaler Pfad: Du willst eigentlich eine schöne, wacklige Produktion abliefern, aber du darfst dich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, weil die meisten sonst sagen würden: "Oh, der kann nicht spielen", oder "Das ist doch vertuned!"
Nur als Beispiel, wir hatten schon genügend Briefe oder Mails aus der ganzen Welt, die sich beschwert haben, dass man im Song das Rutschen über die Gitarrensaiten hört. Das kann dir eigentlich nur die Antwort dazu geben ... mittlerweile sind die Leute wirklich schon so bescheuert drauf. Gott sei dank nur wenige, aber sie stören sich da dran, dass sie hören, wie du auf der Gitarre mit der Hand von oben nach unten rutscht. Hier wird eine echte Musik im Grunde genommen kritisiert, weil man hört, dass es eine echte Gitarre ist. Da liegt dieser ganz schmale Pfad und man wird es wohl kaum allen recht machen können.
Alex: Das macht es ja auch irgendwo unmöglich diese Songs live zu performen, wenn sie im Studio unter für die Bühne unrealistischen Bedingungen entstehen ... also bei Bands, die wirklich so sehr auf den Computer setzen.
Andi: Na gut, für uns ist das klar. Also mir ist es eh wurscht. Ich würde da jedem den Mittelfinger zeigen und sagen: "Hey Alter, du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank." Da nehme ich mir die Freiheit heraus zu sagen: „Wir sind eine Metalband, wir stehen echt auf der Bühne.“ Wir müssen das also auch live produzieren können. Das muss dafür auch auf der Platte donnern und wackeln, damit man das Gefühl hat, dass das wirklich von Menschen eingespielt wurde. Ich glaube der Trend geht auch Stück für Stück in Richtung, dass es so natürlich wie möglich klingt, so wenig wie möglich produziert, wenn das einer im Grunde genommen nicht spielen kann, dann kann er es halt nicht. Da setze ich auf die ehrlichere Nummer. Wenn du weniger produzierst - das heißt nicht, dass der Sound schlechter wird -, aber wenn du weniger produzierst, weniger Computer hereinnimmst, dann brauchst du auch wieder mehr Fähigkeiten am Instrument und das halte ich für vorteilhaft, weil dann diese Bands, wenn sie live spielen, auch tatsächlich wirklich gut sind. Während ich auch Bands gesehen habe, deren Produktionen auf dem Album hammergeil waren und live waren sie vollkommene Grütze.
Alex: Bei DragonForce soll es früher ganz heftig gewesen sein: Sie waren schon vor den Shows so besoffen, dass sie keinen einzigen Ton getroffen haben sollen. Zusätzlich dazu war ihr Equipment auch nicht gut. Wie findest du es, dass junge Bands einen auf Rocker-Klischee machen und die Fans, die ja zum Teil schon vergleichsweise großes Geld für die Tickets ausgeben müssen, dann auf der Bühne mit einem Gelage abgespeist werden?
Andi: Das finde ich natürlich sehr peinlich und eine Frechheit. Aber gut, das nimmt sich automatisch die Luft raus. Auf Dauer wird so eine Band Fans verlieren und nach und nach verschwinden. Mit wenigen Ausnahmen, die dann ewig schlecht bleiben. Aber ich glaube da wird der Fan auch von selbst drauf kommen.
Alex: Wie wichtig ist der Fan im Allgemeinen innerhalb dieses gigantischen Musikuniversums? Ich meine, die Fangenerationen kommen und gehen. Versucht man sich als Musiker an die eine Generation festzuklammern, die einen selbst groß gemacht hat, oder ist es eher so, dass wer die Musik hört und sich angesprochen fühlt auch angesprochen wird?
Andi: Für uns bei Helloween, da hatten wir ja als ich in die Band gekommen bin letztendlich gar keine andere Chance gehabt, als einen Generationenwechsel zu machen. In der Hoffnung, dass viele von den alten Fans noch dabei bleiben, gleichzeitig auch viele von den jungen Fans, die ich von Pink Cream mitbrachte, auch wechseln und bleiben würden. D.h. Helloween lebte eigentlich schon immer von mehreren Generationen. Und das hat Gott sei Dank bisher immer gut funktioniert. Wir haben mittlerweile alte Säcke, wie mich selbst im Publikum, genauso wie deren Söhne. Und es macht halt echt Spaß, wenn du merkst, dass du wohl eine Musikrichtung bedienst, die wohl mehrere Generationen verbinden kann. Da sehe ich dann auch ganz gelassen in die Zukunft und denke, dass es nicht ganz scheiße ist, was wir hier machen. Die Richtung stimmt, wir haben jetzt nicht nur die Alten wie mich im Publikum - denn davon könnten wir nicht mehr leben. Das sind mittlerweile auch gestandene Familienväter und die können nicht einfach sagen, ich gehe heute mal auf ein Konzert, da sie nicht so frei über ihre Zeit verfügen können, wie die jüngeren Leute. Das ist dann wahrscheinlich auch so, dass du tausend alte Recken hast, die ins Konzert kommen würden, wenn sie nur die Zeit dazu hätten. Die haben sie aber nicht. Da ist man natürlich froh, wenn die fehlenden alten Recken da irgendwie aufgefüllt werden. Das ist natürlich das, was eine Band überleben und wachsen lässt. und da sind wir mit Helloween natürlich in der glücklichen Lage, dass es so abgeht. D.h. ich bin immer irgendwie daran interessiert Songs zu schreiben, die nicht nur dem alten achtziger Fan gefallen könnten.
Das ist zwar auch nicht ganz einfach, wenn man selbst Fan ist, wie ich Fan der Achtziger und der heutigen Musik bin. Also ich habe auch Bands wie Korn oder Deftones, die ich geil finde. Da höre ich gerne rein und spiele sie teilweise hoch und runter. Dementsprechend probiere ich letztendlich die Gewürze in der heutigen Zeit schon zu erkennen und wenn sie mir gefallen, sie auch bei uns so unterzubringen, dass es vielleicht auch so soundtechnisch ein bisschen frischen Wind gibt, damit die Kids genauso auf Helloween abfahren, wie auch die alten nicht angepisst sind, dass sich alles zu sehr verändert. Wie gesagt, das ist ein schmaler Pfad und eine Band wie wir es sind, die seit dreißig Jahren zusammen ist, die wird es auch nie einfach haben. Da gibt es dieses schöne Sprichwort im englischen: You can't be everyones darling. Und das muss man sich einfach hinter die Ohren schreiben und dann sein Bestes tun. Sogar für mich ist das wichtigste, dass ich den Song geil finden muss. Ich muss selbst Fan von dem Zeug sein, das wir da schreiben und auch selbst die Platte fünf oder sechs mal durchhören wollen, weil das geil ist. Dann dürfte eigentlich nichts schief gehen, denn ich bin ein alter Metal-Kopf.
Alex: Bei Straight Out Of Hell fand ich diese Gewürze aus anderen Genres sehr gut umgesetzt. Das war ein wahres Feuerwerk!
Andi: Wie gesagt, manchmal klappt's. Aber bei Straight Out Of Hell war es so schön zu produzieren. Seit Markus auch so ein klasse Songschreiber geworden ist, haben wir auch gar nicht mehr so den druck. Das war aber nicht immer so. Deshalb fühle ich mich im Augenblick bei Helloween pudelwohl.
Alex: Aktuell sind ja wieder viele Bands mit irgendwelchen Re-Union-Tourneen am Start. Gestern oder heute hatte ein Fan auf deiner Facebookseite gefragt, wie es denn bei Helloween mit einer richtigen Reunion aussehen würde? Das sieht man bei euch sowieso sehr selten, außer dass vielleicht mal Kai Hansen auf die Bühne kommt - der dann sowieso mit Gamma Ray als Support dabei ist. Deine Frage auf die Antwort war nun: "A great idea on which we have to work on. Never say never!"
Andi: Absolut und ich stehe auch immer noch voll dahinter. Wir sind gerade am planen, aber da muss natürlich jedes der Mitglieder voller Vertrauen in die Sache hineingehen. Michael muss zum Beispiel verstehen, dass ihn keiner verletzen will. Kai hat's verstanden, logischerweise. Das ist jetzt gerade die zweite Hellish Rock Tour mit Gamma Ray und es funktioniert wunderbar.
Da wäre es natürlich das Sahnehäubchen, wenn wir Michi auch auf die Bühne kriegen. Meine Vision wäre, aber das ist wie gesagt nur eine Vision, an der ich arbeite und für die ich Werbung mache, in den Köpfen: In einer perfekten Welt, gäbe es eine dreistündige Helloween-Show auch mit Michael Kiske zusammen. Für mich wäre das genial und ich denke, dass es auch für die Metalwelt geile drei Stunden wären.
Alex: Das klingt alles sehr interessant und ich bin schon sehr gespannt, ob das klappen wird! Dann bedanke ich mich für diene Zeit und für das Interview. Hast du vielleicht noch ein letztes Schlusswort an die Fans?
Andi: Tja, wie immer! Nach der Tour ist vor der Tour, wie immer! (lacht)
Wir sehen euch nächstes Jahr dann hoffentlich auf den Festivals, bis dahin habt ihr dann hoffentlich noch ein bisschen Spaß mit der Straight Out Of Hell. Ein großes Danke an alle: Erfolgreichstes Album unserer Geschichte weltweit, auch in Deutschland. Platz vier, das war ein Knaller! Nur Andrea Berg war vor uns, der Soundtrack von Avatar und Heino ... (lacht)
Das war natürlich eine witzige Gesellschaft.
Ansonsten wie gesagt, wir sehen uns bald auf den Festivals und das nächste Album wird auch schon bald in die Mach gehen. Da habe ich auch ein ziemlich gutes Gefühl, wenn ich mir so die Ideen anhöre. Dann wird es hoffentlich so eine Art „Straight Ouf Of Hell II“: Sehr viel gute Laune, aber auch sehr viel hartes Geprügel. Ich denk mal das wird gut ...
Alex: Hast ja sicher gesehen, der Heino hatte sich tatsächlich nach Wacken getraut ...
Andi: Jaja, genau! Der war nicht nur auf Wacken, mit uns war er auch auf dem Baltic Open Air. Witzig, der wurde ja auch gut aufgenommen. Ich finde das ist eine sehr mutige Kiste. Aber ich kann natürlich jetzt nicht sagen, ob er das aus Überzeugung macht, oder ob das ein genialer Schachzug von seinem Manager war.
Ich hoffe mal, dass er das auch mit Freude macht und mit einem zwinkernden Auge und Spaß an der Sache. Dann wäre es schön. Wenn das natürlich nur eine Manager-Entscheidung war, dann hatte er dabei sicherlich eine harte Zeit gehabt. Ich hatte jetzt aber nicht das Gefühl, dass er da den Zwang sieht, sondern mehr das Gefühl, dass er das auch ganz witzig findet. Aber ich weiß nicht, vielleicht täusche ich mich auch nur ...
Alex: Dann ist ja klar, wen wir als nächstes ausfragen müssen. Nochmals danke für deine Zeit. Alles gute und bis zum nächsten mal!
Andi: Hau rein und bis dann!
Moderation: Alexander Kipke

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