Carver – The Great Riot

Kritik von: Michael Voit
Album-Cover von Carvers „The Great Riot“ (2013).
„Ein zu Musik gewordener Wutanfall ...“
Interpret: Carver
Titel: The Great Riot
Erschienen: 2013
Stuttgart scheint ein ganz heißes Pflaster zu sein, denn nicht umsonst ist es die Geburtsstätte einiger wirklich hochkarätiger Metal-Bands mit Nachhaltigkeit, wie etwa End Of Green, Sinner, Farmer Boys oder Coronatus. Und in diese Riege reiht sich, beinahe nahtlos, ein neuer Act ein: Das Quartett Carver hat sich mit ihrem Metalcore, der mit einem Kopfsprung auf Rock 'n' Roll trifft, eine ungewöhnliche Spielwiese ausgesucht und lässt sich so nur schwer schubladisieren. Dennoch passt der Bandname eigentlich ganz gut, denn tatsächlich schneidet sich Carver wie ein Tranchiermesser tief ins Fleisch und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Ein wirklich ungewöhnliches Release, dass wohl noch große Wellen schlagen wird, so voller Energie steckt das Debüt-Album des Vierers, der als Subterfuge Carver begann und in der Konstellation sogar schon ein Album namens "Deathcore" einspielte.
Nach der Umbenennung folgte 2011 die Unplugged-EP "Sessions", bis sie sich dann letztendlich auf "The Great Riot" stürzten. Anders als handelsübliche Metalcore-Bands, suchen sie vermehrt die Nähe zu den Melodien und hinterlassen auf dem Weg dorthin, eine Spur der Verwüstung, was vermutlich den hohen Genussfaktor des Albums ausmacht und auch der eigentliche Grund für die erschwerte Zuordnung zu einem Genre ist. Und an der Stelle kommt auch der Titel des Release ganz gut zum Tragen, der mit "The Great Riot" wohl den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf trifft. Stellt Euch vor, ihr sitzt in Eurem Wagen, steht an einer Kreuzung und streckt Euren Mittelfinger weit aus dem runtergekurbelten Fenster. So viel Spaß macht es auch Carver zu hören. Obwohl von einer Autofahrt zu der Mucke eher abzuraten ist. Veredelt mit allerhand elektronischen Spielereien, Samples und Finessen bekommt "The Great Riot" die unkontrollierbare Eigendynamik eines Vorschlaghammers, der sich in Beton frisst. Einige wenige Ausnahmen verleiten zum Drücken der Skip-Taste: Wie etwa "Toilet Diver", das mit seinen Sprechgesang-Einlagen ein wenig an den Nerven des Hörers zerrt.
Oder das episch-schöne "No One", welches durch den gebrochenen Sound, die Großartigkeit des Stücks stört. Das im Strophenteil leider etwas zu unrunde "Down The Drain" schafft mit seinen ohrwurmbehafteten Chorus dann gerade noch die Kurve. Dafür klingen Songs wie "You Never Tried", "Precilla" oder "From Behind" wie vertonte Wutanfälle, die keinen Stein auf dem anderen lassen. Die Gitarren sind messerscharf verzerrt, so dass einem nach den knappen 44 Minuten des Albums die Ohren bluten. Erwähnenswert ist wohl auch noch die Cover-Version von Massive Attacks Hit "Teardrop", der von Carver beinahe bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde, aber ohne jemals die Essenz zu gefährden. Der Titel kann sich hören lassen und schafft das, was viele Cover-Versionen nicht erreichen, nämlich dem Stück den eigenen Stempel aufzudrücken.
Aufgenommen hat die Truppe das Album komplett in Eigenregie, was sich definitiv auf die Bewertung auswirkt, nur beim Mix und Mastering griff ihnen Pelle Henricsson unter die Arme, der schon bei Meshugga, Refused oder In Flames an den Reglern saß. Das erruptiv-schwere "1000 Days" avanciert sich zu meinem persönlichen Höhepunkt der Scheibe, mit dem sich nebenbei auch laute Nachbarn perfekt in die Schranken weisen lassen. Ich schreibe aus persönlicher Erfahrung. Nicht weniger kolossal der Endtrack "Riots", der, wie der Name schon verrät, wohl wütendste Track im Programm, welcher unweigerlich Lust auf einen neuerlichen Durchlauf macht. Sollten Carver dieses episch-monumentale Werk auch auf die Bühne gehievt bekommen, wäre ein Konzert definitiv ein Pflichttermin, dem unbedingt beigewohnt werden sollte.
Fazit: Ein zu Musik gewordener Wutanfall: So viel Spaß kann Mucke "Made in Germany" machen. Carver schreien, rempeln, wüten und prügeln sich durch "The Great Riot", das bis auf die vorhin erwähnten Störfaktoren, recht kompakt daherkommt und stets dem roten Faden folgt. Gelegentliche Ausbrüche aus ihrem selbstgeschnürten Klang-Korsett geben dem Release den letzten Kick und fesseln über weite Strecken. Und dank seines weit gefächerten Spektrums, werden wohl viele Fans des Genre's relativ leicht Zugang zu "The Great Riot" finden. Unbedingt Antesten!
Anspieltipps: You Never Tried, Precilla, From Behind, 1000 Days, Riots
Vergleichbares: The Panic Channel

 
Score:
85% Hervorragend!

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