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Interview: Herman Rarebell

vom 10. Juli 2012
Für Millionen von Menschen wurde der Song Wind of Change zum vom Mauerfall untrennbaren Soundtrack, doch für die Scorpions began mit diesem von ihnen nie wieder kommerziell erreichten Höhepunkt der schnelle Abstieg auf der Erfolgsleiter. Nachdem nun zwar Hausfrauen in die Shows gelockt wurden, die wegen eines einzigen Songs die für sie brachialen Auftritte durchhielten, wandten sich die eingefleischten Heavy Rock-Fans von der Band ab, weil sie ihnen derartige Musik einfach nicht verzeihen konnten; Musik, die Herman samt der beiden Gitarristen Rudolf Schenker und Matthias Jabs bis heute als „Schlager“ ansehen.
Als dann versucht wurde, mit Face the Heat in den Jahren 1993/1994 genau diese verlorenen Fans zurück zu gewinnen, gingen natürlich die zuvor eroberten Hausfrauen wieder und schon standen die Scorpions endgültig auf dem absteigenden Ast, der sie zu Verzweiflungstaten wie Pure Instinct und Eye II Eye führte. Dies sorgte auch dafür, dass Drummer Herman Rarebell wegen der stilistischen Entwicklung nach 18 Jahren die Band verließ. Doch die Scorpions schafften es schlussendlich doch, sich aus dem mehr als eine Dekade lang hinziehenden Dauertief zu lösen.
Nachdem die sie 2006 erfolgreich auf dem Wacken Open Air - unter anderem mit Herman als Gast - auftraten, war der Titel der schnulzigsten Schlagerband Deutschlands am Bröckeln. Als sie dann noch mit Humanity Hour I deutlich härtere Töne anschlugen, waren sie auch albumtechnisch wieder gänzlich in die Hard'n'Heavy-Sparte zurückgekehrt. Doch gleich darauf sorgten sie erneut für Unmut bei den Fans, als sie schon beim nächsten Album Sting in the Tail ihre zukünftige Auflösung nach dieser letzten Tour bekannt gaben.
Doch wie sieht Herman als Ausenstehendes Ex-Mitglied die aktuelle Entwicklung? Bereut er es heute, rückblickend auf die Ereignisse von damals und die jetzt zurückkehrenden Erfolge, die Band verlassen zu haben? Oder ist ihm die Musik wichtiger als der schnöde Mammon? Ist es richtig, wie die Scorps gerade mit der wohl niemals enden wollenden Abschiedstour Geld scheffeln? Wie reagieren Fans darauf, wenn ihnen gesagt wird, dass es vielleicht das letzte Mal ist, dass sie die Möglichkeit haben, ihre Liebslingsband live zu sehen; und am Ende kommen sie wieder und wieder und veröffentlichen sogar noch eine neue Scheibe? Bei den Rolling Stones gehört es zum guten Ton, regelmäßig „aufzuhören“. Doch wie ist es bei den Hard Rockern aus Hannover?
Außerdem berichtet uns Herman von seiner zukünftigen Rolle als Professor an der De Tao Masters Academy in Peking, die - wie er selbst scherzhaft sagt - derzeit „alle möglichen Masterminds der westlichen Welt einkauft“, um den gerade aufwachsenden Generationen unser Wissen direkt von den Menschen, die die Welt bewegten, zu vermitteln. Dabei wird Herman versuchen, den jungen Menschen das Schlagzeug, die Produktion und das Songwriting des Rock'n'Roll näher zu bringen.
Lest einfach selbst! Viel Spaß dabei!

Das Interview:

Alex: Hi, Herman! Alles frisch? Wie geht's dir so?
Herman: Bei mir ist alles frisch! Ich bin am Packen, weil ich gerade auf dem Weg zum Flugplatz bin und nach Brighton zurück fliege. Ab morgen bin ich dann am Proben mit Michael Schenker, weil wir am Freitag ein Festival in Bulgarien spielen.
Alex: Um welches Festival geht es denn?
Herman: Keine Ahnung! [lacht]
Keinen blassen Schimmer ... ich weiß nur, dass wir in Kavarna am Freitagabend spielen werden - Freitag den 13ten! Ich weiß auch nicht, wann wir spielen. Wir hatten ja jetzt nicht mehr gespielt seit dem Sweden Rock am 8. Juni. Das war das Letzte, was wir gemacht haben. Da haben wir gedacht, bevor wir jetzt da ein Festival spielen, proben wir einen Tag vorher, um das Gehirn nochmal ein bisschen aufzufrischen. Aber wie gesagt, da stehen nur noch zwei Festivals mit Michael an.
Das Andere ist am 27. Juli in Juan Les Pins, das ist ein Ort direkt bei Cannes, so ein Amphitheater. Und da haben die früher jedes Jahr so genannte Jazzfestivals gemacht. Das nennen die jetzt Rockfestivals. Und dann spielen wir noch einen Gig am 5. August in Yeosu, in Südkorea. Da ist die World Expo, mit einem so genannten Kulturaustausch. Das war's dann auch erst einmal für dieses Jahr mit Michael. Du weißt ja, meine Sachen, meine Band sind am Laufen, da werde ich noch ein paar Gigs mit ihnen spielen, also mit Herman Ze German & Band. Ich habe eine Anfrage aus China reinbekommen, da werde ich im Herbst spielen und meine Band vorstellen. Die sind schon ganz heiß drauf!
Alex: Und was läuft außerhalb der Musikwelt so bei dir?
Geh mal auf die Website http://www.detaoma.com/
Das nennt sich De Tao Masters Academy, und wenn du auf ihre Website gehst, dann gehst du oben auf „Master Studios“. Dort drückst du drauf und dann siehst du da etwa hundert Professoren aus der ganzen Welt, die dort unterrichten. Wenn du runterscrollst siehst du Professor Rarebell!
Alex: Also bist du da jetzt ein richtiger Professor?
Herman: Ja, von denen habe ich jetzt eine Ehrenprofessur erhalten! Meine Kurse fangen dort nächstes Jahr im März an. Das ist also eine Organisation, die dort ins Leben gerufen wurde, und die haben sich aus der ganzen Welt die so genanten "Meister" eingekauft, die dort in Zukunft in verschiedenen Fächern unterrichten sollen. Da wirst du dann sehen, dass da richtig amtliche Leute sind, wie zum Beispiel John King, der die ganzen Animationen für Spielberg gemacht hat. Oder Leute von der UNESCO, von der UN und andere. Also richtig amtliche Leute, die dort unterrichten. Und einer dieser "Meister", die sie eingekauft haben, bin ich. Ich werde dort ab März unterrichten, natürlich in Schlagzeug, Produktion und Songwriting. Das sind die drei Sachen ...
Ich habe auch schon sehr viel Anlauf von verschiedenen Studenten bekommen, die gerne meinen Kurs belegen möchten. Und aufgrund dieser vielen Anfragen kamen jetzt noch ein paar Promoter auf mich zu, ob ich nicht mal Lust hätte, mit meiner Band dort auch mal zu spielen. Dazu sagte ich natürlich: „Na, klar!“ China war so ein Land, in dem die Scorpions zum Beispiel nie waren, aber das mich immer begeistert hat. Wo ich immer gesagt habe: „Da möchte ich mal hin.“ Das ist jetzt durch Zufall entstanden, sie haben mich dafür kontaktiert. Ich glaube das kam dadurch, dass ich das selbe, was die da machen - ich hatte mal so ein Ding gemacht bei meiner Buchvorstellung in der Staatlichen Universität von Kalifornien, dort habe ich mein Buch präsentiert und hatte im Zuge dessen auch eine Stunde Musik unterrichtet und das kann man jetzt auf YouTube sehen. Aufgrund dessen kamen dann auch diese Anfragen. Das Interessante an der Sache ist, dass ich genau das richtige Alter habe, um Professor zu sein. Mit 62 ist es glaubwürdig! Und es ist tatsächlich so, dass die daran interessiert sind, das Wissen aus dem Westen ihren Kindern weiter zu geben. Und ich finde das ganz toll, dass man auf diese Art den Kindern Rock'n'Roll beibringen kann, weil die ja gerade erst am Anfang sind. Das darfst du nicht vergessen.
Die sind zwar Meister im Kopieren, aber wo der Rock herkommt ist klar: aus dem Westen, aus Amerika, Großbritannien und so, klar! Und jetzt wollen die, dass das Wissen aus erster Hand weitergegeben wird. Den Plan von denen finde ich klasse! Wie ich das so sehe, wird das in Zukunft viel meiner Zeit in Anspruch nehmen; dass ich dort unterrichte.
Alex: Von den großen Bühnen dieser Welt wechselst du zur Korrektur von Hausarbeiten ... Musstest du dich auf diesen Job irgendwie mental vorbereiten?
Herman: Ich werde keine Hausarbeiten korrigieren. Mein Ziel ist es, den Leuten Wissen zu vermitteln. In meinem Kopf bin ich einfach noch zu jung, um mich zur Ruhe zu setzen und einen auf Pensionär zu machen. Wenn ich das höre, dass die anderen jetzt gerade mit Anfang der 60iger Jahre aufhören wollen ... das ist eine typisch deutsche Einstellung, dass du in diesem Alter in Pension gehen musst, ne? Guck dir mal die amerikanischen Kollegen an! Solche wie B.B. King oder Chuck Berry. Alle über 80 und alle noch am spielen und das richtig gut! Also das ist für mich eine Sache, die ist auch weitaus interessanter, als wenn jetzt von einer Halle zur nächsten ziehen würde, nur um zu spielen. Ich spiele nach wie vor gerne, aber ich möchte es mir so einteilen, dass ich gleichzeitig das Wissen in meinem Kopf weitergeben darf! Das ist eine Gnade, die mir Gott geschenkt hat, und so sehe ich das: Ich darf mein Wissen weitergeben. Was Schöneres kann man im Leben denn tun, als sein Wissen mit Anderen zu teilen? Sag mir, was gibt es Schöneres als das? Ich bin gespannt ...
Alex: Ich habe keine Ahnung! Mit meinen 23 Lebensjahren bin ich wohl noch zu jung für eine gescheite Antwort auf diese Frage ...
Herman: Da hast du noch dein ganzes Leben vor dir! Als ich 23 war, da war ich in England und habe versucht, zu überleben. Da fing das alles an ... Ich war mit 22/ 21 nach England ausgereist und bin erst mit 27 zu den Scorpions gestoßen. Ich hatte gedacht, dass die englischen Bands alle auf mich warten, dem war aber nicht so. Uriah Heep hatten einen guten Trommler, Led Zeppelin, die hatten auch einen. Ich denke mal, in dem Alter hat man halt eben noch den Enthusiasmus und geht einfach ins Blaue drauf los: „Ich will es jetzt wissen und gehe nach England“, so war es bei mir!
Alex: Hast du es denn im Nachhinein bereut?
Herman: Nein, im Gegenteil! Ich habe sogar innerhalb von ein paar Monaten sehr gutes Englisch gesprochen. Ich liebe England bis auf den heutigen Tag und wohne seit vielen Jahren wieder dort. Für mich ist es nach wie vor das Hauptland des Rock'n'Roll, wo die ganze Mucke herkommt. Wenn du mal die ganzen Bands anguckst, die aus England gekommen sind: Led Zeppelin, Deep Purple, Uriah Heep, Beatles, Rolling Stones - nur um ein Paar zu nennen. Dann weißt du, wo der Wind weht. Und ich habe die Scorpions auch in England kennen gelernt, nicht in Deutschland. Die haben damals im Sound Circus gespielt und ich habe dort eine Audition mit fünfzig oder sechzig anderen Schlagzeugern mitgemacht. Als ich den Job bekommen hatte, bin ich wieder zurück gezogen nach Deutschland, in diesem Fall nach Hannover.
Aber für mich ist England das Land des Rock'n'Rolls schlechthin. Das ist auch heute noch so, wenn ich zwischendurch mal in einen Pub gehe und mir anhöre, was da so an Bands spielt. Das sind bei uns die Profibands und drüben die Amateure, die dort Samstags und Sonntags spielen. So ist das Level dort, es ist einfach wesentlich höher als bei uns. Guck mal, wir sind hier ja schließlich noch im Schlager - und Volksmusikland. Okay, es gibt zwar gute Rock'n'Roll Bands, eine meiner Lieblingsbands aus Deutschland ist Rammstein, die auch großen internationalen Erfolg haben, obwohl sie auf Deutsch singen. Aber das hat sich erst im Laufe der Jahre geändert. Früher, wie ich dahin gezogen bin, da war in Deutschland nur Schlager angesagt. Es war also extrem schwer, dort Fuß zu fassen und mal eine Radiostation zu finden, die überhaupt deine Mucke gespielt hat.
Alex: Woran, würdest du sagen, liegt diese Entwicklung?
Herman: An der deutschen Mentalität! Da brauchst du nur mal Samstags den Fernseher bei uns anzumachen, gehst durch alle Kanäle durch und dann weißt du, was hier abgeht ... und du siehst es auch an den Bands, die fleißig proben und auf einen Plattenvertrag hoffen. Es sind ganz Wenige, die da durchkommen. Bekannte Bands, an die ich mich erinnern kann - aus'm Ärmel raus - sind Edguy, Rammstein ... hilf mir! Wer ist noch da?
Alex: In Extremo und Helloween zum Beispiel!
Herman: Ja, aber wenn wir mal so international gucken, dann sind es kaum Bands aus Deutschland, die es schaffen. Das ist 'ne Sache, die wieder zur deutschen Mentalitätsfrage führt. Es sind ganz viele, die bei der deutschen Sprache bleiben, wie zum Beispiel die Ärzte und wie die alle heißen. Die singen auf Deutsch. Okay, dann kommst du über die Schweiz und Österreich auch nicht wirklich hinaus ... da waren Rammstein wirklich die einzigen, die mich angenehm überrascht haben. Ausverkauften Tourneen in Amerika und sonst auch überall ausverkauft - sogar die Stadien. Selbst in Frankreich und so ... Ich habe hier eine DVD von Nîmes, Südfrankreich - Hammer! Die Franzosen und auch die anderen Leute, die da waren, singen auf deutsch! Das finde ich sensationell. Das war auch unser Traum mit den Scorpions. Leider haben wir ja nie Deutsch gesungen.
Alex: Da gab es glaube ich ein oder zwei Songs, "Du bist so schmutzig" und noch ein Weiterer ... das war dann auch eher der traurige Mist von später.
Herman: Naja, das kam ja auch nach meiner Zeit, muss ich dazu sagen. Musste das sein? Meiner Meinung nach nicht ... aber was soll's. Hauptsache ist, dass man an der Musik Freude hat. Wenn der nicht da ist, dann sollte man wirklich die Koffer packen und aufhören.
Alex: Ich weiß ja nicht, ob du das so mitbekommen hast, aber vor 2006, also vor dem Auftritt der Scorps auf dem Wacken, da war man, wenn man sagte, man sei Fan der Band, gleich als Geschmacksverirrter abgestempelt.
Herman: Also ich freue mich wirklich außerordentlich für die Band, dass noch so ein großer Erfolg da ist. Die letzte Platte war gut, das war eine Platte, wie die Leute das bei den Scorpions früher gewohnt waren. die Platten, die zwischendurch erschienen sind, wie Eye II Eye und Pure Instinct, waren unter anderem einer der Hauptgründe, warum ich aufgehört habe. Weil ich mir gesagt habe: „Ne, die Mucke möchte ich nicht machen.“ Die einzige Platte, die mir jetzt seitdem gut gefallen hat, war die letzte und auf Humanity Hour I waren einige Sachen drauf, die ganz gut waren. Bei Unbreakable wurde gerade der richtige Weg wieder eingeschlagen. Die anderen Platten, die nach meinem Ausstieg gemacht worden sind, wie schon oben erwähnt Pure Instinct und Eye II Eye, da habe ich die Welt nicht mehr verstanden.
Alex: Das Zeug gilt ja auch als deutscher Schlager in Perfektion ...
Herman: Das mein ich ja! Das war dann genau das was du sagst, deutscher Schlager! Wir, also Rudolf, Matthias und ich waren auch von Wind of Change nie begeistert. Wir haben das auch als Schlager angesehen, aber es war vom kommerziellen Blickpunkt gesehen der erfolgreichste Song, den die Scorpions jemals hatten. Gut, die Zeit hatte da einen großen Faktor gespielt. Die Mauer ist 1989 gefallen, der Song war draußen - das war der so genannte "Begleitsong" des Ganzen. Und das hat natürlich enorm viel ausgemacht!
Alex: Was ist denn das eigentlich für ein Gefühl, wenn man weiß, dass man den Soundtrack für ein so wichtiges Ereignis geliefert hat?
Herman: Du, das ist ein tolles Gefühl! Ich muss dir echt sagen, ich hatte eine sehr interessante Unterhaltung mit einem Topman in China erst vor zwei oder drei Wochen, als ich unten war. Er sagte zu mir: „Wenn du hierher kommst und hier spielst“, sagte er zu mir, „den Wind of Change wollen wir hier nicht, so wie ihr das damals in Russland gemacht habt." Da weißt du, dass sich diese Leute Gedanken drüber machen. Ich weiß auch noch ganz gut, als, kurz bevor Gorbatschow abgesetzt bzw. abgedrängt wurde, er die Band empfangen hatte. Wir saßen dann alle da und er sagte, dieser sehr humorvolle Mann: „Was war der größte Fehler, den die Vereinigten Staaten gemacht haben?“ Wir zuckten dann natürlich alle mit den Schultern und er sagte: „Ich kann es euch sagen! Als sie die Beatles reingelassen haben, da kam Rock'n'Roll und mit dem Rock'n'Roll die Freiheit in die Jugend, das zu tun, was man will. Ja? Und mein größter Fehler war“, sagte er zu uns, also den Scorpions, „dass ich euch reingelassen habe!“
Und wenn du dir mal das Moscow Music Peace Festival auf DVD anguckst, dann weißt du, wie die Leute in diesem Stadion in Moskau uns abgefeiert haben. Man konnte regelrecht spüren, dass demnächst etwas passieren würde. Das Festival war am 12. und 13. August 1989. Keine drei oder vier Monate später, am 9. November, fiel die Mauer. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir dran Schuld sind. Aber wir haben da hundertprozentig dran mitgewirkt, dass die Jugend plötzlich gesagt hat: „Wir wollen so sein, wie die im Westen! Wir wollen frei sein!“
Alex: Da kann man ja gleich über die Bedeutung von Musik sprechen. Denkst du, dass Musik die Menschen verändern kann, oder zeigt sie nur auf, was alles falsch läuft in unserer Welt?
Herman: Ich denke, dass Musik die Menschen kolossal verändert. Darüber hatte ich einen Dialog in China mit einem sehr guten Musiker, der dort Unterricht am staatlichen Konservatorium in Peking gibt. Wir hatten eine Fernsehsendung zusammen gemacht, einen Dialog zwischen einem Musiker aus dem Westen und einem Musiker aus dem Osten, worin der Sinn der Musik bestünde, was Osten und Westen gemeinsam hätten. Wir kamen also zu dem Ergebnis, dass die Sprache der Musik international ist. Man braucht sie nicht zu lernen, man spürt sie innerlich. Und das, was man sagen will, kommt bei den Leuten in jeder Sprache an. Die spüren quasi, worum es hier geht.
Ich konnte ja früher zum Beispiel auch kein Englisch sprechen, aber als ich zum ersten mal die Rolling Stones oder die Beatles gehört habe, wusste ich genau, was sie sagen wollten, die Jungs. Fakt ist, dieses „Let's make a revolution“ - lasst uns frei sein, freier Sex, freies Denken und so weiter ... das war die Grundbotschaft, die vom Rock'n'Roll immer überliefert wurde. Und das haben die Russen damals auch genauso aufgenommen. Irgendwann sagen auch alle jungen Leute, dass wir uns nicht mehr von den Eltern unterdrücken lassen wollen, dass wir uns nicht mehr sagen lassen wollen, was wir zu tun und zu sagen haben. Du siehst ja jetzt, was im nahen Osten los ist. Überall gehen sie gerade auf die Straßen.
Alex: Wenn man jetzt bedenkt, dass diese ganzen ersten Generationen, welche den Rock geprägt haben, aussterben, welche Bedeutung hat das dann für die jetzt nachkommenden Musiker?
Herman: Du meinst die erste Generation, sprich B.B. King und Leute wie mich? Naja, das bedeutet für die nachfolgenden Generationen gravierende Beeinflussung! Ich wäre froh gewesen, wenn ich damals die DVD gehabt, auf der ich hätte abgucken können, was zum Beispiel John Bonham damals getrommelt hat. So musste ich mir das mit einer Langspielplatte mühsam raushören und jedes mal wenn ich es wiederholen wollte, musste ich aufstehen und das Ding neu auflegen. Heute gehst du zum DVD-Spieler, machst einen Klick, machst Pause, lässt einen Rücklauf machen und kannst dir haargenau angucken, was da gemacht wurde. Die Beeinflussung, die die älteren Musiker auf die jüngeren haben, ist meiner Meinung nach fantastisch. Die können praktisch dort weiter machen, wo wir aufgehört haben. Das ist die Idee und genau das werde ich meinen Studenten auch beibringen. Da bin ich sehr glücklich drüber, dass ich dieses Wissen weiter geben darf ... „darf“ ist das Wort!
Ich werde immer spielen, bis ich umfalle. Ich bin keiner, der sagt, dass wenn ich 65 bin, ich nach deutschem Recht in Pension gehen sollte. Also, da fasse ich mir an den Kopf. Es gibt dann 'ne Pension, wenn ich tot auf der Bühne umgefallen bin. Das ist meine Pension, das kann ich dir jetzt schon sagen. [lacht]
Alex: [lacht]
Na klar doch, ich bin Rocker mit Herz und Seele. Das hängt nicht von 'nem Papier ab, wann irgendeine Zeit abgelaufen ist. Ich höre dann auf, sobald ich nicht mehr spielen kann. Wenn die Natur mich dazu zwingt, sprich wenn mein Körper mir irgendwann sagen wird "du kannst deine Arme nicht mehr heben und die Beine nicht bewegen". Ich hoffe, dass das nie eintreten wird und ich hoffe, dass ich bis zu meinem Lebensende gesund bleibe. Aber ich werde solange spielen, wie ich gesund bin. Das kann ich dir versprechen.
Früher habe ich schon so gedacht, bevor überhaupt der Begriff Heavy Metal erfunden wurde. Da haben wir das schon gespielt. Wenn du dir mal die früheren Scorpions-Scheiben anhörst, dann merkst du, dass Uli Roth einer derjenigen war, die Größen wie Eddie Van Halen beeinflusst haben. Eddie hat mir das immer wieder gesagt, dass der, der ihn am meisten beeinflusst hat, Uli Roth ist. Wir haben ja damals diese Monsters of Rock Tour 1988 gemacht und da waren wir vier Monate mit den Jungs unterwegs. Da haben wir oft mit ihnen darüber gesprochen und er erzählte mir, wie er das erste mal die Platte Virgin Killer gehört hatte. „Catch your Train“ - Wir haben diesen Song damals in Los Angeles in den Clubs gespielt, da merkst du es schon. Dann später erst wurden die Begriffe unterschieden in Heavy Rock, dann in Hard Rock, und jetzt nennen die es wahrscheinlich wieder ganz anders. Für mich war das immer Rock'n'Roll, der abgeändert oder modernisiert wurde in zeitgemäße Formen. Jetzt spielen die Bands ja ganz anders und auch die Trommler spielen ganz anders. Ich finde das faszinierend! Das ist das Schöne an meinem Instrument: Du kannst nie aufhören zu lernen. Du lernst immer, egal ob ein Schlagzeuger jetzt 14 oder 84 ist, ich kann von jedem Schlagzeuger was lernen. Das geht immer weiter so, denn es gibt immer jemanden, der dir etwas Neues zeigen kann.
Alex: Würdest du sagen, dass eine professionelle Ausbildung zum Musiker etwas Essentielles ist?
Herman: Ich finde es immer gut, eine Basis zu haben, so dass man dann die Grundtechniken des Schlagzeugspielens erlernt. Dass man weiß, was ein Paradiddle ist, dass man weiß was eine Triole ist, was Sechzehntel und Zweiunddreißigstel sind und so weiter. Dass man weiß, wie ein Grundbeat gespielt wird, damit man das auf jeden Fall drauf hat. Das heißt, wenn man etwas spielen will, dann kann man das zumindest technisch ausführen. Das sollte man sich wirklich rein tun. „Der Rest ist sowieso Geschmackssache“, sagte der Affe und fraß die Seife! Alles Geschmackssache. Es gibt Millionen Leute hier in Deutschland, die Schlagermusik grandios finden und sagen, dass es das Allergeilste für uns wäre. Oder die sagen, dass Heino das Größte in der Volksmusik sei. Diese Sachen gibt es auf dem amerikanischen Markt nicht. Da hast du zwar auch Country und Western, aber selbst diese Bands sind musikalisch viel weiter, als bei uns einige Leute, die Schlager machen!
Den jungen Menschen da draußen kann ich Eines sagen: „Haltet eure Ohren offen!“ Es gibt an für sich nur zwei Arten von Musik, nämlich Gute und Schlechte. Es gibt doch bestimmt in der Branche der Volksmusik einige, die richtig gut sind und auch im Schlagergeschäft, aber ich unterscheide an für sich nur zwischen gut und schlecht. Es gibt auch viele gute Heavy-Rock-Bands und viele schlechte. Was sich immer durchsetzt, ist der Song, das ist das Entscheidende! Was willst du den Leute da draußen sagen? Wenn Text und Musik stimmen, dann hast du einen guten Song und dann kommt es bei den Leuten auch an. Wenn es nicht glaubhaft ist, dann siehst du auch, dass bei eingefleischten Scorpions-Fans solche Platten wie Pure Instinct und Eye II Eye nicht akzeptiert wurden. Weil sie einfach gesagt haben: „Ne, das wollen wir nicht!“
Was meinst du denn, wie lange diese Abschiedstour noch gehen wird?
Alex: Sehr lange! Zumindest, solange noch gutes Geld fließt ...
Herman: Ja, und das finde ich persönlich nicht gut! Dann braucht man ja auch nicht zu sagen, dass man eine Abschiedstour macht, ne? Man sagt sich einfach selbst irgendwann, dass man aufhört.
Alex: Ich weiß ja nicht, wie es bei den Jungs finanziell aussieht, aber ...
Herman: Gut, sehr gut!
Alex: Anscheinend wollen sie mehr ...
Herman: So ist es! Je mehr man hat, umso mehr will man! Ich zähle mich jetzt nicht dazu, für mich ist nach wie vor die Musik am wichtigsten. Dass ich dahinter stehen kann. So eine langjährige Abschiedstournée ist Verarschung der Fans, ganz einfach, um es auf den Punkt zu bringen. Da braucht man nur zu sagen: „Hier kauft mal ein Ticket, damit wir die Halle auch voll haben, vielleicht ist es das letzte Mal, dass wir hier spielen.“ Und beim nächsten Jahr kommt man nochmal. Man denkt einfach, dass die Band das letzte Mal dort spielt, aber im nächsten Jahr kommen sie wieder und ein Jahr später schon wieder ...
Alex: Dann haben die Fans aber auch keine Lust mehr zu kommen.
Herman: So ist es! Aber das sind Sachen, da habe ich leider kein Mitspracherecht mehr, da ich wie du weißt nicht mehr in der Band bin. Ich beobachte das jetzt als Außenstehender, und da sind einfach Sachen, bei denen ich sage: „So hätte ich es nicht gemacht.“ Ich muss dir sagen, so diese neuen Sachen - ich habe hier ja eine schöne Zeit mit Michael Schenker gehabt und es hat mir echt Freude gemacht. Wir sind in ganz Europa und Asien unterwegs gewesen und machen jetzt wie gesagt noch ein paar Festivals. Das hat mir sehr gefallen! Mir gefallen im Allgemeinen die alten Scorpions-Sachen und die neuen Sachen mit Michael ... mal sehen, was da noch kommt.
Nun muss ich aber leider auch langsam zum Flughafen, mein Flug geht bald!
Alex: Alles klar! Danke für deine Zeit, guten Flug und bis zum nächsten Mal!
Moderation: Alexander Kipke

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