Für Ocean Minds neuestes Release begeben wir uns zurück in die 1970er zu Schnauzbärten und Schlaghosen, um zu verstehen, was dem Trio am Herzen liegt: Led Zeppelin, Black Sabbath, Rush, Mountain und viele andere Vorläufer des heutigen Stoner-Rocks erobern mit ihren wuchtigen Riffs die Bühnen der Welt. Vom Punk ist noch nicht viel zu spüren und all jenen, denen die Rolling Stones, The Who und Konsorten zu wenig "Eier" haben, zeigen zuvor erwähnte Formationen, was sie mit reduziertem Line-Up alles aus ihren Instrumenten herauszuholen vermögen, ohne dabei jemals die Leidenschaft zu vernachlässigen. Genau dort wären die Griechen Ocean Mind auch am besten aufgehoben, denn diese Leidenschaft hat sich die 2008 gegründete Band auf die Fahnen geschrieben. Und sie fühlen sich dabei offensichtlich pudelwohl.
Aber beginnen wir zuerst beim etwas unglücklich gewählten Albumtitel "2 Ready 2 Live", denn damit wären die Kritikpunkte im Großen und Ganzen nämlich schon abgehakt. Ich persönlich halte ja nicht viel von der "2" anstelle des englischen Wortes "to": Unweigerlich bekommt alles einen Hip Hop - oder Electronic-Stempel aufgedrückt. Und das haben Ocean Mind nun wirklich nicht verdient.
Der Opener und zugleich Titelsong hätte nicht besser gewählt werden können, so mächtig eröffnet er das Album. Nach den ersten viereinhalb Minuten lässt sich schon erahnen, dass Ocean Mind zu jeder Zeit wissen, was sie wollen und es dann auch konsequent durchziehen. Wuchtige Drums und ausufernde Riffs, angeführt von einer Stimme, die zwar nach Ian Astbury von The Cult erinnert, für die selbiger aber vermutlich töten würde, um so dreckig zu klingen. Neben all den Gitarren- und Schlagzeug-Wänden darf die Hammond natürlich nicht fehlen und so bildet sie in jedem Song die Grundlage für ein heimelig-wohliges Gefühl der Vertrautheit und macht es einem nicht schwer, sich in den Schweine-Rock a la Gov't Mule, Mountain, Monster Magnet[s] oder [s]The Cult zu betten und einfach fallen zu lassen. Vielleicht sei noch anzumerken, dass Ocean Mind den aktuellen Longplayer unter der Regie von niemand geringerem als Lee Popa in den kalifornischen Swinghouse Studios einspielen durften, welcher schon Acts wie Korn, Ministry, Tool oder White Zombie unter die Arme griff. Gegenüber dem Debut-Album "Alone we walk, together we fly" - mit Titeln wie "Mushroom Fever" oder "Mind Trippin", die schon erahnen ließen, in welche Richtung die Reise geht - wurde der Sound konsequent weiterentwickelt ohne jemals die originelle Eigenständigkeit zu verlieren. Der Track "Leather Messiah" versprüht unweigerlich einen Doors-Charme und könnte von Jim Morrison handeln - Reminiszenzen finden sich ja über das ganze Album verteilt - und auch die Chorus-Passage "Come on in and start a Fire…" ist ein weiteres Indiz für den Hang zum Lizard-King. "Howl" rutscht gemächlich in den Stadion-Rock ab, um mit "Heavy Load" und vor allem "Find Yourself" endlich den Doors auf ganzer Ebene zu huldigen. Eine Hommage, die so wuchtig ausfällt, dass es Morrison & Co von der Bühne blasen würde.
Nebenbei ist letzterer Titel der absolute Höhepunkt des Albums, der dann auch noch mit einem superben Gitarren-Solo aufwartet. Das Intro von "Scissor Tongue" wurde ein wenig bei "Peace Frog" abgekupfert, aber dann doch nicht bis zum Ende durchgezogen. So bleibt kein einfaches Kopieren, sondern maximal ein Ausleihen mit Wiedererkennungswert. Nach jedem weiteren Durchgang des Albums wird einem klarer, wie sehr Ocean Mind zu Morrison, Krieger, Manzarek und Densmore aufschauen. Immer wieder versuchen Gitarren auszubrechen, nur um sie im nächsten Augenblick wieder zu bändigen, dass der Song ja keinen Schaden nimmt. Teilweise fallen Passagen auch mal etwas ausufernder und ziemlich psychedelisch aus, somit wäre von einem Konsum von "2 Ready 2 Live" hinterm Steuer eher abzuraten. Der ganz große Trumpf des Silberlings besteht allerdings darin, dass die Songliste eine stetige Steigerung der Songqualität beinhaltet. Ein Kracher folgt dem nächsten. Wie z.B. "Wanderlust" oder "Victim of Gravity", die in der zweiten Hälfte des Albums die Euphorie immer noch steigen lassen und teilweise verdächtig nach "The Cult" klingen, was den Kreis zu den Doors wieder schließen würde (Ian Astbury war 2002 der Sänger der reunierten Doors, Anm. d. R.). "Monkey Ear" rührt am Ende noch zu Tränen, ohne dabei jemals kitschig zu wirken. Ganz groß! Danach ist nach knapp 40 Minuten Laufzeit das Album durch und lässt mich beeindruckt zurück: Eine wirklich knackige Scheibe, mit kaum vorhandenen Schwachstellen.
Fazit: Welch eine Überraschung, dass sich in den letzten Dezember-Tagen noch so ein herausragendes Album einstellt: Ocean Mind haben ein wirklich wunderbares Stück Musik geschaffen. Vollgestopft mit fetten Riffs, gefälligen Melodien, gediegenen Hammond-Teppichen und monumentalen Southern-Solos, dass sich einem der Eindruck aufdrängt, die Hosen der Herren von ZZ Top hätten Feuer gefangen und sie hätten so noch schnell - unter Mithilfe der Doors - ein Album eingespielt. "2 Ready 2 Live" strotzt nur so vor Energie und Lebensfreude, und macht somit auf vielen Ebenen Spaß. Ein absolutes Pflicht-Album für jeden 70er-Jahre-Hardrock-Fan der sich anno 2012 völlig unverstanden fühlt. Alle anderen sollten zumindest mal hineinhören, um zu wissen, was sie versäumen. Ganz klar, neben The Sorrows "Misery Escape" und The Datsuns "Death Rattle Boogie", einer der Höhepunkte von 2012, der schleunigst auf die ganz grossen Bühnen gehört. Einen kleinen Punkteabzug gibt es trotzalledem für den etwas irreführenden Albumtitel und das zu puristische und farblose Cover. Das haben Kollegen wie The Hold Steady schon besser vorgemacht.
Anspieltipps: Leather Messiah, Howl, Find Yourself, Heavy Load, Wanderlust, Victim of Gravity, Monkey Ear
Score:
91% Höchste Kunst!
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