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Porcupine Tree – Octane Twisted

Kritik von: Michael Voit
Album-Cover von Porcupine Trees „Octane Twisted“ (2012).
„'Octane Twisted' ist die logische Ergänzung zu 'The Incident'.“
Interpret: Porcupine Tree
Titel: Octane Twisted
Erschienen: 2012
Die englischen Progressiv-Pioniere von Porcupine Tree waren schon seit je her nichts für triviale Musiktouristen, sondern erforderten ein offenes Ohr und vor allem Zeit vom Hörer. Die Ausflüge in die Progressiv-Welten von Mastermind Steven Wilson glichen mehr einer Reise ins Unbekannte, als einem bloßen Stück Musik. Klangen sie zu Beginn noch stark nach Pink Floyd, fanden sie - über die Jahre - relativ schnell zu ihrem eigenen Stil, der aber weiterhin ihre Wurzeln durchblicken ließ. Und bis heute hat sich daran eigentlich nichts geändert. Aber immer langsam, alles von vorne: Porcupine Tree war bei der Gründung 1987 eigentlich ein Solo-Projekt von Steven Wilson, der in seinem Studio erste Tapes aufnahm. Aus Angst, dass er als Hobbymusiker nicht anerkannt werden würde, erfand er eine fiktive "Landschaft" rund um die Band. Und jetzt wird es wirklich abenteuerlich: Wilson fälschte Diskografien und erfand eine Band-Story, die erzählt, dass sich die Truppe nach einem längeren Gefängnisaufenthalt, bei einem Rock-Konzert in den Siebzigern, zusammengefunden hatte.
Das erste Output, damals noch auf Kassette, "Tarquins Seaweed Farm" beinhaltete diese erfundene Bandgeschichte auf dem Inlay. Bei dem zweiten Longplayer "Up The Downstair", von 1993, gastierten zum ersten Mal die späteren Bandkollegen Colin Edwin und Richard Barbieri. Schlagzeuger Chris Maitland folgte dann im Jahr darauf und Porcupine Tree war, nach sieben Jahren, endlich komplett. Somit konnte das erste Album als richtige Band eingespielt werden. Das Resultat war das bedrückend-schöne Release "The Sky Moves Sideways", und wurde zum ersten großen Erfolg der Band, die fortan als "Pink Floyd der 1990er" gefeiert wurden. Steven Wilson bedauert diesen Vergleich allerdings bis zum heutigen Tag. Bis 2002 entwickelte das Quartett dann ihren eigenen Sound, wobei der Stil der Anfänge nach wie vor erkennbar blieb. In diesem Jahr verließ auch Maitland die Band und als Nachfolger kam die Drum-Koryphäe Gavin Harrison, der eigentlich im Jazz-Lager beheimatet war. Neben dem "Stachelschwein Baum" trommelt er - nach wie vor - noch für viele andere Acts, wie z.B. die Urväter des Progressiv-Rocks King Crimson, Robert Fripp, Iggy Pop oder Tony Levin. Eigentlich war er lediglich als Studio-Drummer für das 2002er Meisterwerk "In Absentia" vorgesehen, dennoch wurde er nach dem großen Erfolg ins fixe Line-Up übernommen und sorgt seit dem für höchst anspruchsvolle Drumparts auf ihren Alben. Wunderbar nachzuhören bei "Blackest Eyes", dem energetischen Höhepunkt des eben erwähnten Albums. Und seit diesem Zeitpunkt wurde am Line-Up auch nicht mehr gerüttelt. Es kam lediglich der Gitarrist John Wesley hinzu, der die Band seit diesen Tagen, bei allen Live-Konzerten unterstützt, von denen schon eine Vielzahl als offizielle Live-Mitschnitte veröffentlicht wurden. Nach dieser kurzen Einführung in den Kosmos von Porcupine Tree, wenden wir uns jetzt dem aktuellen Release zu!
Auf den ersten Blick drängt sich der Verdacht auf, bei "Octane Twisted" handele es sich um ein neuerliches Best of-Live-Output der Progressiv-Workaholics um Mastermind Steven Wilson. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass beim aktuellen Live-Release das Hauptaugenmerk auf der letzten Studio-Scheibe "The Incident" liegt und hier als Kernstück dient. Erst auf CD 2 werden wir mit einer kleinen, aber keineswegs kurzen Werksschau belohnt. Die Aufnahmen stammen übrigens von zwei Konzerten aus dem Jahre 2010, in Chicago bzw. in London. Nachdem 2010 mit der DVD "Anesthetize" schon mal der Versuch unternommen wurde, ein Album in seiner Gänze auf die Bühne zu hieven, nämlich "Fear Of A Blank Planet" von 2007, folgt jetzt ein neuerlicher Anlauf. Vorweg sei erwähnt, der einzig wirkliche Kritikpunkt auf "Octane Twisted" gehört dem Sound. Denn der ist - im Vergleich zum Studio-Äquivalent oder den herausragenden Live-Alben "XM", "XM II" oder "Atlanta" - etwas flau, gedämpft und weit nicht so gehaltvoll. Schade eigentlich, denn Stücke wie der Opener "Ocean's Razor" oder "The Blind House" bräuchten die Schärfe, um ihre Überraschungsmomente voll ausleben zu können. Was auf dem Studio-Werk zu regelrechten Schreck-Momenten führt, funktioniert auf "Octane Twisted" nur bedingt. Das manische "Drawing the Line" verblüfft dafür auf der Bühne - mit dem ein oder anderen Überrumplungsversuch - umso mehr, denn der melancholisch-startende Garagenrocker durchlebt eine Metamorphose zum dramatisch-orchestralen Bombast-Werk. Live bekommt es endlich den Raum, den es zum Atmen benötigt, lebt dadurch auf und wird zum melodisch dahin stampfenden Rock-Biest. "The Incident" verwandelt sich auf der Bühne in ein schaurig-schönes Ungetüm mit Gänsehaut-Faktor, das gegen Ende zu strahlen beginnt, wie die aufgehende Sonne.
Kritik von: Michael Voit
Das Pink Floydige "Time Flies" entpuppt sich live als ebensolches Stück, mit zusätzlicher Schräglage. Allerdings gibt es dem Hörer - mit seinen knappen zwölf Minuten - genügend Zeit, sich zu akklimatisieren. Nicht nur auf Platte, sondern auch in Chicago bildet das sphärische "I Drive The Hearse" das Schlussstück und lässt mit seinen elegischen Lyrics, am Ende noch mal ordentlich Schauer über den Rücken laufen: "And silence is another way, Of saying what I wanna say, and lying is another way, of hoping it will go away, and you were always my mistake...When I'm down I drive the hearse...". Eigentlich war "The Incident" ein wirklich starkes Album, auch wenn das Konzept dahinter, es streckenweise etwas einengt. Das ändert sich allerdings auf der Bühne: Die teilweise wütenden, melancholischen, dramatischen und manchmal sogar ausufernden Songs des Studio-Albums, beginnen vor Publikum erst so richtig zu leben. Auf CD 2 startet dann der fullminante Bonus-Teil, der mit dem zornigen "Hatesong", dem bedrückend-fragilen und selten gespielten Pop-Ohrwurm "Stars Die", einem bombastischen "Russia on Ice", dem melodischen Schwergewicht "Even Less" und dem teils fragil-schönen, teils eruptiven "Arriving Somewhere but not here" ausgestattet wurde. Ein wunderbares Beispiel übrigens, für die Wandlungsfähigkeit von Porcupine Tree. Einzig, der "Überdrüber-Hit" und Porcupine Tree-Einstiegsdroge "Blackest Eyes" fehlt diesmal. Vermutlich um nicht unnötig von "The Incident" abzulenken. Für Fans, Sammler und Liebhaber ist "Octane Twisted" auch als limitierte Edition, mit zusätzlicher Live-DVD der "Incident"-Tracks, erhältlich. Verpackt in eine hochwertige, und vor allem edle, Hardcover-Box, wäre sie der regulären Version zwingend zu bevorzugen.
Fazit: "Octane Twisted" ist die logische Ergänzung zu "The Incident". Hier stimmt so gut wie alles: Das opulente Live-Album schafft es gekonnt, die komplexe Magie eines Porcupine Tree-Konzertes einzufangen. Es sitzt jeder Ton, jedes Break und auch jede Stimmung. Porcupine Tree zelebrieren ihr Konzerte immer ziemlich Nahe an der Perfektion. Dennoch entsteht Unerwartetes auf der Bühne und unterscheidet sich somit vom Studio-Album. Was die Konzerte der Perfektionisten folglich nie langweilig oder trist erscheinen lässt. Womit wir bei der Songauswahl angekommen wären: Nachdem sich unzählige Live-Mitschnitte der Truppe auf dem Markt tummeln, ist diese hier erfrischend anders, da sie sich konzeptionell auf ein Album konzentriert. Zwar nicht unbedingt auf ihr Allerbestes, dennoch sind die Songs live intensiver, als bei dem dazugehörigen Studio-Output von 2009. Was bei anderen Bands nach einer öden Selbstbeweihräucherung klingt, wird bei Wilson & Co so erfrischend und auch anders, dass es durchaus Sinn macht, beim vorliegende Live-Album zuzugreifen. Für den etwas matten Sound gibt es ein paar Punkte Abzug, dennoch bleibt ein wirklich herausragendes Stück Musik(-Geschichte).
Anspieltipps: The Blind House, Drawing The Line, The Incident, Russia On Ice/The Pills I'm Taking, Stars Die, Even Less, Arriving Somewhere But Not Here

 
Score:
85% Hervorragend!

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