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Interview: Kaltfront

mit Sonic Jörg vom 14. März 2012 via Mail
Als die Punk-Band Kaltfront im Jahre 1986 in der DDR gegründet wurde, zeigten sich gerade die ersten politischen "Tauwetter-Erscheinungen", die wenige Jahre später dann zum Untergang der Republik und leider auch zum Untergang von Kaltfront selbst führten. Insgesamt ging ein großer Teil der Musikkultur, die sich damals noch gegen das totalitäre Regime aufgelehnt hatte, plötzlich nach der Wiedervereinigung und dem damit verbundenen Verlust des ideologischen Feindes mit ihm zusammen unter - Bands lösten sich auf und Musiker kehrten dem Geschäft den Rücken zu, da sie sich auf dem westlichen Markt mit der ganz anders entwickelten Infrastruktur im Musikgeschäft nicht behaupten konnten.
Doch jetzt scheint es nach Jahren der Abstinenz für viele bekannte Namen aus der DDR-Musikszene eine Art Renaissance zu geben! So kehrten auch die Jungs von Kaltfront im Jahre 2005 nach 15 Jahren Pause mit ihrer Band zurück auf die Bühne. Doch was waren überhaupt die entscheidenden Unterschiede zwischen den Musikern in Ost und West? Gab es in der DDR die Möglichkeit, frei zu musizieren, oder wurde man dafür grundsätzlich verfolgt? Wie sah diese Verfolgung und Unterdrückung konkret aus? Wie sind die Musiker damit klar gekommen, als die zuvor simpel in Ost und West geteilte Welt auseinander brach?
Diese und viele weitere spannende Fragen beantwortet uns Sonic Jörg - der Bassist der Band - im Interview! Viel Spaß beim Lesen!

Das Interview:

Grüß dich Jörg! Wie geht’s dir? Wie ist das Wetter gerade in Dresden?
Mir geht es gut, danke der Nachfrage. Die letzten Tage war das Wetter frühlingshaft, schon fast sommerlich. Die lang anhaltende Kaltfront ist vorbei, falls du darauf anspielen wolltest.
Mit der Scheibe „Zwischen allen Fronten“ erschien gerade euer erstes wirklich neues Album seit der Reunion! Wie war die Reaktion der Fans und der Presse darauf?
Von den Fans haben wir bisher nur positive Rückmeldungen erhalten. Das ist allerdings nicht so sehr verwunderlich. Wer die Platte Scheiße findet, kauft sie sich gar nicht erst. Es gibt ja im Internet genug Möglichkeiten, sich vorab einen Höreindruck zu verschaffen. Die Reviews waren größtenteils positiv, wobei auch ein paar derbe Verrisse dabei waren. Mir ist es eigentlich egal, was geschrieben wird. Man kann es eh nicht allen recht machen.
Gab es irgendwelche Besonderheiten bei der Produktion oder beim Songwriting?
Für uns bestand die „Besonderheit“ darin, zum ersten Mal überhaupt mit Kaltfront in einem Studio aufzunehmen. Ansonsten hat sich nicht viel geändert. Wir haben alles live eingespielt, außer dem Gesang und ein paar Soli, die nachträglich aufgenommen wurden. Wir hatten keinen speziellen Masterplan für das neue Album. Ab Januar 2008 sind wir von Zeit zu Zeit ins Studio gegangen und haben aufgenommen, was sich so in uns angestaut hatte. 2010 hatten wir genug Material für eine Platte zusammen. 2011 wurde dann alles gemischt. Ich muss aber dazu sagen, dass wir uns nicht sieben Tage die Woche 24 Stunden mit Kaltfront beschäftigt haben. Wir haben die ganze Zeit über nur sporadisch daran gearbeitet, manchmal ein halbes Jahr lang gar nicht. Was das Songwriting anbelangt, haben wir versucht, die vielfältigen Einflüsse, die wir in der Zwischenzeit aufgesogen hatten, größtenteils heraus zu halten. Es sollte ja ein typisches Kaltfront-Album werden. Nur beim Bonustrack auf der CD kann man möglicherweise hören, dass unser Gitarrist Blitz und ich jahrelang in Rockabilly-Bands gespielt haben.
Was ist die Hauptintention der Scheibe und wie seid ihr auf den Titel gekommen? Hat er eine besondere Bedeutung?
Der Titel „Zwischen allen Fronten“ ist eine Textzeile aus dem Song „Wie ein Fremder“. Er hat keine besondere Bedeutung. Wir fanden nur, er beschreibt ziemlich gut unseren Status als Band, da wir uns weder der Punk- noch irgendeiner anderen Szene zugehörig fühlen. Das hat für uns den Vorteil, dass wir uns keinen lästigen Szenezwängen unterordnen müssen, aber auch den Nachteil, dass uns Publikum und Medien nicht so richtig in eine der vorgefertigten Schubladen stecken können.
Alex: Siehst du in diesem Loslösen von Szenenzwängen, von dem uns im Augenblick ziemlich viele Bands berichten, einen bloßen Trend oder ist das vielleicht eine Entwicklung, die die zukünftige Musik in eine neue Richtung lenken könnte?
Das klingt mir etwas zu hoch angebunden. Wie es bei anderen Bands ist, kann ich nicht beurteilen. Ich denke das ist ein normaler Entwicklungsprozess. Als wir jünger waren, brauchten wir diesen Szene-Zusammenhalt, um uns abzugrenzen und zu identifizieren. Aber im Laufe der Zeit entwickelt man sich weiter, wird individueller und entdeckt neue Horizonte in der Musik und allen anderen Bereichen des Lebens. Da will man sich nicht mehr vorschreiben lassen, was man zu hören, zu spielen oder zu denken hat.
Wie würdest du die Punkszene der DDR in wenigen Worten zusammenfassen?
Eigentlich war es wie überall auf der Welt, dass Kids in einer bestimmten Lebensphase gegen ihre Eltern, Lehrer, Autoritätspersonen allgemein und die Zwänge der „Spießerwelt“ rebellierten. Manche benutzten als Ausdrucksform Punk, andere wurden Hippies, Tramper, Blueser, Metalfans oder Grufties. Das Schlimme in der DDR war, dass dem Ganzen von staatlicher Seite so eine politische Brisanz beigemessen wurde. Im Stasivokabular nannte man diese Gruppierungen „negativ-dekadente Jugendliche“, die natürlich alle von „westlichen Einflüssen irregeleitet“ wurden.
Was für Menschen hörten diese Musik und aus welchen Bevölkerungsschichten stammten sie überwiegend?
Punk wurde in der DDR von Jugendlichen aus allen Schichten der Bevölkerung gehört, aus Proletarier-, aus Intellektuellen-, aus Künstler- und aus Bonzenfamilien. Aber auch in systemkritischen Boheme- und Künstlerkreisen war es eine zeitlang in, mit der Punkszene zu „flirten“. So haben Punkbands u. a. bei Vernissagen in „privaten“ Galerien gespielt. Punks waren auch Motive für verschiedene Kunstwerke, was besonders deutlich bei der X. Kunstausstellung 1987 in Dresden zu sehen war.
War die Szene relativ groß oder hatte sie eher verhältnismäßig wenige Anhänger? Wie stark äußerte sich die Verfolgung der Mitglieder dieser Szene im Alltag?
Genaue Zahlen kann ich nicht nennen, aber im Vergleich zu Metal-Fans und Trampern war die Punkszene in der DDR relativ klein. Umso perverser war, was für ein großer Apparat von den Staatsorganen gegen ein paar aufmüpfige Kids in Bewegung gesetzt wurde. Die Methoden reichten von flächendeckenden Bespitzelungen, über zermürbenden Schikanen bis zu Inhaftierungen.
Wie stand es mit der Infrastruktur? Wie schwer war es vor 1986 seine Songs zu veröffentlichen und war es danach leichter, als der Staat anfing die Punks zu tolerieren?
In professionellen Studios aufzunehmen war fast unmöglich, es sei denn man hatte sehr gute persönliche Kontakte. Den meisten blieb nur übrig, ihre Musik mit einfachsten Mitteln im Proberaum mit Kassettenrekordern aufzunehmen, auf Tapes zu kopieren und diese im Freundeskreis zu verteilen. Die Infrastruktur bestand aus einem Netzwerk Gleichgesinnter, das sich teilweise auch auf das Ausland, vor allem die BRD, ausdehnte. Punks wurden in der DDR von den Staatsorganen nie toleriert. Aber ab Mitte der achtziger Jahre entstand die Szene der so genannten „anderen Bands“. Die spielten meistens eher künstlerischen Postpunk. Durch gewisse politische Auflockerungen wurde es möglich, dass einige dieser Bands Einstufungen machen und dadurch öffentlich auftreten konnten. Ihre Demos wurden im Radio gespielt und einige wenige konnten sogar auf dem Staatslabel AMIGA veröffentlichen.
Mit deiner Vorgängerband „Paranoia“ hattet ihr regelmäßig mit Ordnungsstrafen zu kämpfen und es gab auch Probleme mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Was kannst du uns dazu erzählen?
Regelmäßig ist übertrieben, es gab zwei Ordnungsstrafverfahren. Uns wurde vorgeworfen, dass wir ohne Spielgenehmigung öffentlich aufgetreten sind. In der DDR mussten Bands sich von einer staatlichen Kommission einstufen lassen, bevor sie in der Öffentlichkeit spielen durften. Anfang der Achtziger war das für Punkbands undenkbar. Wir haben trotzdem gespielt, in kirchlichen Einrichtungen oder auf Privatpartys. Wir haben einmal unangekündigt bei einer öffentlichen „Jugendtanzveranstaltung“ gespielt. Davon hat die Stasi Wind bekommen und wollte uns wohl einen Denkzettel verpassen. Die zweite Strafe kam nach einem Auftritt bei einer Geburtstagsfeier, wo dann behauptet wurde, das wäre öffentlich gewesen. Die konnten sich die Dinge zurechtbiegen, wie sie wollten. Man hatte da wenig „Einspruchsmöglichkeiten“. Ich muss auch sagen, dass wir damals ziemlich naiv waren. Uns war natürlich bewusst, dass uns die Stasi auf dem Kieker hatte, aber wir haben uns kaum darum gekümmert. Wir hatten geglaubt, dass wir nichts Kriminelles tun.
Seid ihr mit Kaltfront dann noch in neue Konfliktsituationen mit dem staatlichen System geraten oder hat das ab 1986 wirklich alles relativ problemlos von dieser Seite aus funktioniert?
Wir hatten das Gefühl, dass wir noch unter Beobachtung standen. Manche Veranstalter ließen uns wissen, dass bei Kaltfront-Konzerten die Staatsorgane in Alarmbereitschaft standen. Lutz Schramm vom Radiosender DT64 wollte mal eine Aufnahmesession mit uns machen, aber das wurde ihm von vorgesetzter Stelle untersagt. Ansonsten wurden wir zumindest nach außen hin in Ruhe gelassen.
Nachdem mit dem Untergang der DDR auch „Kaltfront“ aufhörte zu existieren, habt ihr die Band 2005 nach insgesamt 15 Jahren der Auflösung wieder belebt. Gab es einen besonderen Schlüsselmoment für diese Entscheidung?
In den Jahren nach der Auflösung, bestand weiterhin ein gewisses Interesse an der Kaltfront-Musik. Die alten Tapes wurden weiterkopiert und es gab Anfragen, ob wir nicht mal wieder auftreten würden. Zuerst war das für mich undenkbar. Aber im Laufe der Zeit konnte ich mich immer mehr mit diesem Gedanken anfreunden. Als ich dann 2004 oder Anfang 2005 mit dem Gitarristen Blitz darüber sprach, war ich überrascht, dass auch er nicht abgeneigt war. So ergab sich alles Weitere.
Ist die Message, die ihr damals vor dem Ende der DDR an die Fans brachtet die gleiche wie heute? Oder was hat sich an ihr verändert?
Wir wollten nie bewusst eine bestimmte Message verbreiten oder irgendwas predigen. Wir sind eher introvertierte Menschen. Unsere Texte haben immer nur persönliche Stimmungen beschrieben. Anscheinend haben sie den einen oder anderen Nerv getroffen, damals wie heute. Ich kann das nicht erklären.
Wer bildet heute euer Publikum? Fans der ersten Stunde oder auch viele junge Hörer, welche die Teilung Deutschlands nur aus Dokus kennen?
Beides. Erstaunlicherweise auch viele jüngere Hörer. Vor allem bei den ersten Konzerten nach der Reunion hat es uns überrascht, dass auch Jüngere die alten Texte mitsingen konnten.
Versucht man da als Teil dieser DDR-Musikkultur ein kleines Stückchen davon für zukünftige Generationen zu bewahren oder assimiliert man sich lieber um heute noch unauffällig zu überleben?
Es reicht, wenn die DDR-Musikkultur in Form von Tonträgern bewahrt wird. Uns interessiert nur das Hier und Jetzt. Das hat nichts mit Assimilieren zu tun. Wir haben bei der Reunion von Anfang an auch neue Songs gespielt, oder alte in neuen Versionen, was nicht nur auf Gegenliebe stieß. Ein Teil unserer Fans hätte es am liebsten, wenn wir immer noch wie 1987 klingen würden. Aber wir wollten auf keinen Fall mit irgend so einem Ostalgie-Programm über die Dörfer ziehen.
Alex: Findest du es angemessen, dass im Zuge dieser immer häufiger aufkommenden "Ostalgie" manche Menschen tatsächlich heute lieber wieder in dem alten Regime leben würden? Was denkst du ist der Grund für diesen Wunsch?
Viele sind von den gegenwärtigen Verhältnissen enttäuscht. Da denkt man gerne an die „guten, alten Zeiten“ zurück. Dabei wird aber vieles durch die rosarote Brille gesehen. Die sozialen Sicherheiten hätte man gerne wieder, das Regime aber nicht.
Was steht sonst noch für die nähere oder auch fernere Zukunft der Band an? Worauf können die Fans sich freuen?
Für uns ist es schwer, langfristige Pläne zu schmieden. Die Fans müssen sich überraschen lassen. Aber wer uns etwas kennt, hat gelernt, Geduld zu üben. Umso mehr freut es vielleicht den einen oder anderen, wenn wir eines unserer seltenen Konzerte geben oder irgendwann mal wieder was veröffentlichen.
Ich dank dir, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast und wünsche alles Gute für die Zukunft! Würdest du vielleicht noch ein paar letzte Worte an die Fans richten?
Danke, dir auch alles Gute. Und vielen Dank an alle, die uns die ganzen Jahre unterstützt haben.
Besucht uns auch auf: kaltfront-dresden.de
Moderation: Alexander Kipke

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