Interview: Wölli und die Band des Jahres

mit Wolfgang Rohde vom 23. August 2012 via Telefon
Was bedeutet es eigentlich, wenn man Ereignissen gegenübersteht, die man als Mensch nicht beeinflussen kann? Wenn plötzlich die gesamte Lebensplanung und auch all die geschmiedeten Lebenswünsche auf der Kippe stehen? Doch wie es im Leben immer so ist, entpuppt sich ein zuvor mit Unmut oder sogar Entsetzen betrachtetes Ende oft auch als ein neuer Anfang!
So ungefähr könnte man es auch bei Wolfgang Rohde zusammenfassen, der bis zum Jahre 1999 Drummer bei der deutschen Punk-Rock-Band Die Toten Hosen war. Als er im Jahre 2000 in einen schweren Autounfall verwickelt wurde, blickte „Wölli“ nicht nur sprichwörtlich dem Gevatter Tod ins Angesicht. Zwar hatte er sich schon davor gemächlich als Drummer aus dem Musikgeschäft zurückgezogen; doch dieses Ereignis, oder besser: diese immense Zäsur in seinem Leben, zog den endgültigen Schlussstrich unter seine Schlagzeugerkarriere.
Doch was nun? Was soll ein Musiker, der in einer deutschen Nummer-Eins-Band internationalen Erfolg feierte und all die Bühnen dieser Welt sah, tun, nachdem er vom Schicksal, der Vorsehnung oder wie man es nennen mag, zur Untätigkeit verdammt wurde? Wölli entschied sich dazu, nicht den alten Zeiten nachzutrauern und sich diesem harten Lebensabschnitt nicht kampflos zu ergeben. Nein, er ging vielmehr dem Wunsch nach, etwas von seinem Erfolg zurückzugeben, und gründete die Plattenagentur Goldene Zeiten Records. Gleichzeitig hob er das Rock am Turm Festival aus der Taufe. Mit beiden Einrichtungen unterstützt er junge Bands.
Nach mehreren Jahren in einem muffigen Büro muss es selbstverständlich irgendwann dazu kommen, dass es auch den abstinentesten Musiker wieder in den Fingern juckt - in diesem Fall besser gesagt in der Kehle! Ja genau, Wolfgang entschloss sich, als Sänger eine eigene Band zu gründen, ein Album einzuspielen und wieder auf Tour zu gehen. Was dabei herauskam ist ein Musikkonstrukt mit dem peotisch anmutenden Namen Wölli und die Band des Jahres.
Was der Name bedeutet und wie sich Wöllis Story seit seinem Unfall im Detail entwickelt hat, lest ihr in unserem ausgiebigen Telefon-Transkript.
Viel Spaß dabei!

Das Interview:

Alex: Hallo Wölli, wie geht's dir so?
Wölli: Danke, es geht mir gerade ausgezeichnet!
Alex: Wie war denn euer Auftritt beim diesjährigen Wacken Open Air?
Wölli: Für mich persönlich wahr es sensationell, das muss ich sagen! Ich habe nicht damit gerechnet. Wir sind ja nunmal keine Metal-Band. Aber dass das Zelt so voll ist und dass uns so viele Leute sehen wollten, das hat mich sehr gefreut. Ich war wirklich erstaunt und ich hätte nie gedacht, dass ich bei den Leuten so gut ankomme. Mir hat das unglaublich Spaß gemacht, ich war total überrascht. Erstmal waren die Leute dort total gut drauf. Die haben Witze gemacht und warem sofort mit dabei, wenn ich etwas vorgeschlagen habe. Ja, ich war schon ziemlich euphorisch danach, muss ich zugeben. Damit hatte ich nicht gerechnet, wirklich nicht. Ich weiß, dass das Wacken-Publikum ein großartiges Publikum ist, aber dass sie uns als ... naja, Außenseiter da irgendwie ... so toll angenommen haben, das hat mich wirklich sehr, sehr, sehr gefreut.
Alex: Also würdest du sagen, dass diese Öffnung der Festivals gebenüber Randgenres etwas Gutes ist?
Wölli: Auf jeden Fall! Wie gesagt, ich war absolut begeistert! Ich konnte es gar nicht fassen und habe nur damit gerechnet das vor unserer Bühne vielleicht so ungefähr 150 Leute stehen werden. Am Ende hatten wir im Zelt ungefähr 3000 Gäste. Und mir wurde noch erzählt das da hunderte draußen gestanden hätten, aber das sie niemanden mehr reingelassen haben, weil es schon zu voll war. Ich bin sowas von angenehm überrascht. Und wie gesagt, ich bin ja ein alter abgewichster Hase im Geschäft. Ich hatte mit den Toten Hosen alle großen Festivals Europas und auch der ganzen Welt gespielt. Aber das hier hat mich doch sehr berührt.
Alex: Also ist auch für dich als erfahrenen und weitgereisten Musiker dieses größte Heavy-Metal-Festival der Welt noch ein besonderes Erlebnis?
Wölli: Ja, das war für mich eine Ehre. Das habe ich auch während der Show so angesagt! Dass ich es mit den Hosen nie geschafft habe, auf dem Wacken zu spielen, es aber jetzt mit meiner eigenen Band irgendwie geklappt hat. Das macht mich ganz besonders stolz.
Alex: Wie bereitest du dich denn persönlich auf eine Tour oder solche Auftritte vor?
Wölli: In meinem Alter, ich bin 62 Jahre alt, da muss man halt schon ein Bisschen was tun. Da wird dann mein Fitnessprogramm ein bisschen gestrafft. Ich sehe zu, dass ich jeden Tag mindestens eine halbe Stunde laufe, eine Stunde Fahrrad fahre oder was auch immer. Ein bisschen zusätzliche körperliche Betätigung ist einfach angesagt.
Alex: Ich hatte ja gelesen, dass du im Vorfeld der Tour Schwierigkeiten beim Auswendiglernen der Texte hattest. Hatte sich das mittlerweile gebessert oder gab es da vielleicht die eine oder andere Panne auf der Bühne?
Wölli: Ich denke, das ist alles eine Frage der Routine. Je öfter wir aufgetreten sind, umso mehr habe ich die Dinger halt drin gehabt. Dummerweise hatte ich mir angewöhnt, mein iPad als Teleprompter zu benutzen, da dort die Texte drauf waren. Ich habe zwar inzwischen alle Lyrics drau, aber wenn das Ding nicht da ist mache ich mir vor Angst in die Hosen. [lacht]
Naja, so schlimm ist es nicht. Es war nur ungewohnt für mich, weißt du? Wenn du dein Leben lang Schlagzeug spielst und immer hinter der Schießbude da hockst, und jetzt plötzlich vorne am Bühnenrand das Mundschwein bist. Ich hatte schon eine Weile damit zu tun, mich mit der neuen Rolle erstmals anzufreunden. Aber inzwischen macht mir das tierischen Spaß.
Alex: Wenn du jetzt in der Zeit zurückgehen könntest und die Wahl hättest, entweder noch einmal direkt als Schlagzeuger anzufangen oder gleich Sänger zu werden, welche Rolle würdest du dann wählen?
Wölli: Ich glaube, ich würde wieder den Schlagzeuger wählen, denn es gibt doch genug singende Schlagzeuger, dass käme noch dazu! [lacht] Ne, also wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich alles noch einmal genauso machen wie ich es gemacht habe. Ich würde nicht eine einzige Sekunde davon auslassen wollen.
Alex: Würdest du denn jetzt rückblickend sagen, dass der Unfall, den du 2000 hattest ... ich will nicht sagen „etwas Positives“, aber doch so etwas wie ein Wink des Schicksals war? Der dich jetzt auf einen besseren Pfad geführt hat?
Wölli: Ja, da hast du völlig Recht! Ich sehe das genauso. Weißt du, ich war ja damals schon fünfzig und war nah an der Haltbarkeitsgrenze für Punkrock-Drummer. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich hatte schon meine Schwierigkeiten mit mehreren Bandscheibenvorfällen, sodass ich Lähmungserscheinungen im Arm hatte und so. Wir waren im Jahr 2000 schon sozusagen auf meiner Abschiedstour mit dem Hosen und ich war ja bis Mai nur noch dabei.
Und ja doch so im Nachhinein muss ich schon sagen, dass dieser Unfall es irgendwo endgültig gemacht hat. Es hat mir geholfen, loslassen zu können. Wenn du derart im Mittelpunkt stehst, wenn du in einer solchen Nummer-Eins-Band spielst, und plötzlich bist du überhaupt nicht mehr vorhanden ... dann ist das irgendwie komisch. Und ich glaube auch, dass da schon einige auf der Strecke geblieben sind, die sich davon nicht mehr erholt haben. Ich denke, ich kann hier wirklich sagen, dass ich glaube, dieser Unfall hat mir sehr geholfen, dass ich den Erfolg oder dieses In-der-Öffentlichkeit-Stehen loslassen konnte. Sodass ich eben nicht danach gejammert habe, sondern das ich gesagt habe: „Okay das ist passiert, ich kann die Zeit nicht zurückdrehen.“ Meine Knochen sind alle kaputt ich habe ja jetzt noch Nägel und Schrauben im rechten Bein. Für professionelles Schlagzeugspielen reicht das einfach nicht mehr. Aber so konnte ich es loslassen.
Ich habe direkt danach angefangen, Goldene Zeiten Records und den Trallalamusikverlag zu gründen. Damit habe ich mich dann junger Bands angenommen. Sechzehn Alben habe ich so bei mir auf dem Label herausgebracht. Ich habe mich um die jungen Bands gekümmert, weil ich auch irgendwie das Gefühl hatte, ich hätte so viel Glück in meinem Leben gehabt und dass mir das Medium Musik alles gegeben hätte. Davon wollte ich etwas zurückgeben und habe mich dann erstmal um Nachwuchsbands gekümmert. Was auch total geholfen hat, ebenso die Zeit überbrücken. Also, zu erkennen, dass ich jetzt nicht mehr der Schlagzeuger einer deutschen Nummer-Eins-Band bin.
Alex: Würdest du denn sagen, dass du nach Erfolgserlebnissen, wie diesem Auftritt auf dem Wacken Open Air, deine Zeit bei den Toten Hosen - also diese fünfzehn Jahre - noch irgendwie vermisst?
Wölli: Nein, eigentlich nicht! Weißt du, das waren die schönsten fünfzehn Jahre meines Lebens. Ich habe die ganze Welt mit den Jungs bereist, wir sind überall gewesen. Die Jungs sind immer noch meine besten Freunde. Ne, vermissen tue ich das gar nicht. Ich habe mich damit abgefunden. Was heißt abgefunden? Ich habe mich arrangiert, dass ich nicht mehr Teil der Band bin. Und ich fahre irgendwie gut damit. Wir haben die letzten Wochen und Monate eigentlich wieder super Kontakt gehabt. Wir sind mit den Hosen immer noch alte Freunde, eigentlich die besten Freunde. Es interessiert mich, was bei denen abgeht, die interessieren sich, was bei mir abgeht. Wir sind also gar nicht richtig auseinander gekommen, außer dass ich halt nicht mehr der Schlagzeuger bin.
Alex: Dann lass uns doch mal zu der Zeit kurz nach deinem Unfall zurückkehren. Du hattest ja viel für die jungen Bands getan. Ab wann würdest du persönlich sagen, sollte man mit der musikalischen Sozialisierung von Kindern beginnen?
Wölli: Also, erstmal jedem Kind ein Instrument! Das ist auch so eine Initiative, die hier in NRW von Schulen und von Tourbehörden ausgeht. Das finde ich schon mal richtig, richtig gut, weil ich möchte, dass viele Kinder und Jugendliche gerade heutzutage, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter klafft, trotzdem die Möglichkeit bekommen, ein Instrument zu erlernen. Also, dass jedes Kind ein Instrument lernen kann, ohne dass die Eltern sich da groß Schulden aufladen müssen. Es werden von allen Seiten, von Musikschulen - von privaten, wie auch staatlichen - kostenlos Instrumente zur Verfügung gestellt. Und mit der Förderung kann es gar nicht früh genug losgehen! Ich finde, jeder sollte die Möglichkeit haben, einen Zugang zur Musik zu finden, um einmal zu erfahren, was es für ein Gefühl ist, wenn man irgendwie selber mal was gemacht hat und sei es auch nur die erste einfache Melodie oder sowas. Was das eben für Freude bringt und wie es einen erreicht. Das ist schon eine schöne Sache, mit der man wirklich nicht zu früh beginnen kann. Für mich persönlich so ab dem sechsten Lebensjahr oder so.
Alex: Welche Rolle sollte denn deiner Meinung nach die Musik im Leben eines jeden einzelnen Menschen spielen, unabhängig davon, wie musikalisch begabt er ist?
Wölli: Das ist schwer zu sagen ... welche Rolle sie spielen sollte. Aber wir kennen das doch! Dass, ganz egal in welcher Lebenslage du gerade bist ... also, du hast dich zum Beispiel gerade von deiner Freundin getrennt, dann kommen Balladen gerade ziemlich gut bei dir an und ähnliche Geschichten. Musik zu erleben gibt jedem doch irgendwie ein Gefühl. Wenn ich abends rausgehe, dann lege ich mir meine Lieblingsscheibe auf und bring emich irgendwie in Schwung damit. Oder ich höre auch mal klassische Musik, allerdings meistens nur Morgens. Musik ist so eine tolle Sache, die kann dein Leben zwar nicht verändern, aber du nimmst sie mit in dein Leben. Sie führt dich, sie gibt dir Gefühle - Positive wie auch Negative. Ein Leben ohne Musik ist für mich gar nicht vorstellbar.
Alex: Du sagst ja, dass Musik ein Leben nicht verändern kann. Aber da gibt es ja eine nicht kleine Gruppe, die das Gegenteil behaupten würde. Da kann man sich Ereignisse wie das Woodstock Festival oder auch das Moscow Music Peace Festival in Erinnerung rufen.
Wölli: Ja gut, wenn man mal so prophetisch sein will ... natürlich! Aber das geht mir irgendwie ein bisschen zu weit. Lass uns lieber auf dem Boden bleiben. Ich denke nicht, dass Musik die ganze Welt verändern kann. Deine Welt, deine eigene Welt, verändert sich dabei, klar! Mit jedem Stück, dass du hörst oder das du gern hast oder mit dem du etwas verbindest. Aber ich finde, dass es ein Bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt ist, dass man mit Musik die Welt verändern kann. Die eigene Welt, dieser eigene kleine Kosmos oder sowas, das sicherlich. Aber ich glaube nicht, dass wir die politischen und die sozialen Strukturen, die hier herrschen, mit Musik verändern können. Es gab viele Ansätze, z.B. in der Hippie-Zeit. Was ist da nicht alles über die Musik bewegt worden? Da war Musik das Schlagwort für Millionen junger Menschen. Die haben sich über Musik identifiziert. Und dann kamen irgendwann auch Punkrock und selbst Techno und solche Geschichten. Also, ja ... natürlich kann Musik schon eine sozialpolitische Bewegung begleiten und damit als Sprachrohr für viele Menschen dienen. Dazu braucht man dann nicht hundert Sprachen sprechen zu können. Musik kann da gut zeigen, was da überhaupt gemeint ist.
Alex: Musik kann also sozusagen den Soundtrack eines Ereignisses oder einer kulturellen Strömung formen?
Wölli: Ja, genau so ist es!
Alex: Interessant! Denn Herman Rarebell - der ehemalige Drummer der Scorpions -, hat uns genau das Gegenteil erzählt.
Wölli: Da hat ja jede Band auch so seine eigene Philosophie, nech? Wir mit den Hosen waren ja eigentlich immer ein bisschen anders als die Scorpions und haben uns nicht hin gestellt und gesagt: „Wir sind hier Rockstars und wir machen alle Klischees mit.“ Mit den Hosen haben wir sowas nicht gemacht und das hat mich natürlich auch geprägt, dass ich nicht dazu neige, mein Können, meine Kunst und meine Musik so zu bewerten, als wäre das jetzt das Non-Plus-Ultra. Musik ist einfach eine tolle Sache. Sie ist ein Kommunikationsmittel, man kann sich darüber mitteilen und man kann Leuten etwas geben. Also auch für ihr weiteres Leben! Auch wenn es einfach nur das Gefühl ist, nicht alleine zu sein, sondern: Da ist jemand oder eine Band, die singt über Sachen, die mich selbst emotional sehr berühren. Die haben dasselbe erlebt wie ich.
Alex: Wie gehst du denn persönlich beim Songwriting vor? Bist du ein Mensch, der versucht, irgendwelche Muster auszufüllen, oder kommt wirklich alles vom Herzen?
Wölli: Es kommt, das muss ich schon sagen, alles vom Herzen. Ich mache mit meinen beiden Gitarristen abwechselnd was. Dabei fange ich mal was an und dann machen wir ein paar neue Songs, und dann kommt der Nächste und macht was. Dann schmeißen wir das ganze Zeug zusammen. Bei mir ist es so, dass ich eine bestimmte Linie brauche. Ich muss ein Gefühl dafür haben, wo diese Musik hin geht. Dann fange ich an, Texte zu schreiben. Dann habe ich eine Idee, also einen Kernsatz, und dann es es eigentlich sehr schnell. Ich war darüber sehr erstaunt, denn ich hatte mein ganzes Leben früher keine Texte geschrieben und auch keine Musik komponiert.
Ich brauche irgendwie so ein Gefühl, wie die Musik mich packt, wie mich das alles erreicht. Weißt du? Wenn ich spüre, es ist hell und freundlich und da sind viele Dur-Akkorde drin, dann mache ich entsprechende Texte. Und wenn es irgendwie etwas schwermütiger oder schwerfälliger wird, dann werde ich auch nachdenklicher mit meinen Lyrics. Ich bin aber nicht der Typ, der auf Halde produziert. Ich bin allgemein nicht der typische Song- und Gedichteschreiber, der etwas aufschreibt und es dann auf den Song drückt. Bei mir geht das nur in Einheit, Hand in Hand. Wenn ich die ersten zwei Akkorde habe, dann geht es eigentlich sehr schnell.
Alex: Also wie so eine Art Symbiose? Dass der Song, den du gerade schreibst, dich auch selbst gleich wieder beeinflusst?
Wölli: Ja, genau! So kann man das nennen.
Alex: Lass uns nochmal über dein aktuelles Bandprojekt „Wölli und die Band des Jahres“ reden. Es ist ja aus dem Goldene Zeiten Orchestra entstanden. Wie kam das?
Wölli: Die ursprüngliche Idee war ja, dass ich nicht so heiß darauf war, eine neue Band zu starten und mir den Arsch wegzutouren. Es war eigentlich die Idee, dass ich mein Label gehabt habe, Goldene Zeiten Records. Und da wollte ich passend dazu das Goldene Zeiten Orchestra ins Leben rufen, weil ich angefangen habe, einfach mal so alle Musiker anzurufen oder anzumailen. „Pass mal auf, ich habe wieder Bock, Musik zu machen. Und ich habe hier ein paar Songs. Hast du nicht Lust, hier was als Schlagzeuger zu machen? Du Schlagzeug? Oder du, Gitarre?“ Und da bin ich so auf fast achtzehn bis neunzehn Musiker gekommen und musste dann schnell einsehen, dass es absolut unmöglich ist, mit einer so großen Gruppe überhaupt auch nur zu proben! Geschweige denn irgendwie auf Tour zu gehen. Mit so vielen Leuten geht das einfach nicht. Da musst du ja Eintrittsgelder nehmen und die Hütte so voll haben, dass es überhaupt finanzierbar ist.
Dann hatte ich in der Zeit schon angefangen, Aufnahmen zu machen, und das war halt eigentlich schon mit den Jungs, mit denen ich aktuell die Band des Jahres mache. Die waren halt alle bei den Aufnahmen dabei. Also bei den ersten Songs, die wir so aufgenommen haben. Als ich gesehen habe, dass dieser andere Plan mit dem Orchester keinen Sinn machte, lag die Idee nahe, da sie das ganze Jahr dabei waren, das alles als „Band des Jahres“ zu bezeichnen. So sind wir zum Namen gekommen.
Alex: Steht denn schon neues Songmaterial in den Startlöchern?
Wölli: Wir sind gerade dabei! Wir haben ja jetzt für uns erstmal die Festivalsaison beendet und wollen jetzt eigentlich für den Rest des Jahres das Songwriting betreiben. Wir haben jetzt sieben oder acht Songs in ganz groben Demoversionen, aber die sind auch schon soweit, dass man sie mit der Band arrangieren kann. Da stehen wir jetzt unmittelbar davor.
Alex: Gibt es denn schon einen Namen für das neue Album oder ein angepeiltes Veröffentlichungsdatum?
Wölli: Ne, noch gar nichts! Weil ich mich zum Einen nicht unter Druck setzen muss oder will, dass ich es zu einem bestimmten Datum bringen möchte. Wir haben mit dem jetzigen Album, ich bin trotzdem sehr stolz drauf, einfach nicht mehr Songs produziert. Wir mussten also jeden Song, den wir hatten, auf das Album hauen. Früher war ich das mit den Hosen anders gewohnt. Vor einer Veröffentlichung haben wir wenn wir zwölf bis dreizehn Songs gebraucht haben, in der Regel fünfundzwanzig Tracks aufgenommen und später entschieden, was aufs Album kommt. Da waren dann immer wieder Überraschungen dabei! Dass zum Beispiel Songs, auf die ich zuvor gesetzte hatte, im Studio richtig abkackten oder dass Songs, die ich vorher nicht auf der Uhr hatte, plötzlich richtig stark geworden sind.
Deshalb möchte ich mich jetzt noch nicht unter druck setzen lassen mit dem nächsten Album. Klar, es soll so schnell wie möglich kommen. Wenn wir gute Ideen haben und mit der Band ordentlich vorankommen, dann hätte ich das gerne im nächsten Frühjahr. Aber wie gesagt, das ist jetzt nicht richtig fest angepeilt, sondern erstmal heißt es: Songs schreiben! Daraus wird sich dann alles andere ergeben. Wenn wir genug Material haben, es schnell läuft und die Ideen gut sind, wir also auf so einer Welle schwimmen, dann kann es schnell gehen. Aber wenn wir erst nächstes Jahr um diese Zeit ein neues Album bringen, bin ich auch zufrieden.
Alex: Und in welche Richtung wird es stilistisch gehen?
Wölli: Wir haben so ein paar Überlegungen gehabt und ich habe mir mehrere Aufnahmen unserer Auftritte angesehen. Was ich schön fand oder was mir auch wirklich am meisten am ersten Album Spaß gemacht hat, war, dass wir so vielseitig sein können. Also dass wir nicht auf eine Stilrichtug oder Art von Musik festgefahren sind. Das würde ich mir ganz gerne erhalten. Durch alle Stile zu gehen und alles machen zu können, was Spaß macht. Dass man von seinen Fans nicht festgelegt wird. Allerdings mit einer kleinen Einschränkung: Wir haben ja ziemlich Gas gegeben, so anfangs auch mit der ganzen Promo-Geschichte. Wölli hier, doch schon der alte Mann, und dieses Flair. Aber er hat eben viel zu erzählen, ist glaubwürdig, und so weiter. Ich habe auch immer von den Shows her versucht, Gas zu geben. Was ich nun ein wenig ändern will, ist, dass ich da nicht rumlaufen will, wie der lustige Oppa, der noch irgendwie über die Bühne springt und noch ein paar Verrenkungen macht. Ich möchte schon irgendwie ein bisschen mehr, dass ich mich selbst und mein Alter selber finde dabei; bevor ich versuche, da noch irgendwie den Berufsjugendlichen oder den Punk-Opa raushängen zu lassen. Also wird das vielleicht alles etwas getragener, etwas glaubwürdiger. Das wäre das, was ich mir vorgenommen habe.
Alex: Was hältst du denn von solchen Leuten wie Madonna oder Mick Jagger, die doch ganz stark versuchen, ihrem Alter auszuweichen?
Wölli: Das ist doch verlogen, oder? Ich meine, dass man dahinter stehen sollte, anstatt Schönheitsoperationen zu machen. Es gibt doch auch eine innere Uhr, die tickt. Finde dich damit ab und mach das Beste draus! Sich da zu verstecken oder sein Alter überall zu verschweigen oder gar nicht drauf einzugehen ist falsch. Wobei ich auch nicht finde, dass die Stones das so extrem wie Madonna gemacht haben. Also, ihr Alter zu verschweigen, meine ich ... da war ja schon vor fünfundzwanzig Jahren eine Fotoserie in schwarz-weiß publiziert worden, wo man wirklich gut sehen konnte, wie Keith Richards mit jeder Falte deutlich abgebildet war. Was du da siehst, das ist Rock'n'Roll! Da kann man stolz drauf sein, finde ich. Aber nicht bei irgendwelchen Tussen, die da von einer Schönheitsoperation zur nächsten springen.
Alex: Naja, bei Stones ist es ja schon so, dass sie krampfhaft versuchen, wie die jungen Hüpfer über die Bühnen zu hopsen. Und ohne auffallend junge Frauen an deren Seite kann man sich die Jungs doch schon gar nicht mehr vorstellen ...
Wölli: Ja, manchmal finde ich es auch schon ein Bisschen ... Hör mal, mir geht's ja fast schon so, bei gewissen Kollegen, die auch immer noch so eine frühpubertäre Art haben. Das finde ich eben auch ein bisschen daneben. Man muss ja auch zu seinem Alter, zu dem was man erlebt hat, stehen! Ich kann ja nicht vor mir selbst weglaufen. Das wäre ein ganz großer Fehler, zu dem ich niemandem raten würde. Steht dazu und macht das Beste draus!
Alex: Bist du denn der Typ Musiker, der bis zur letzten Sekunde spielen und auf der Bühen tot umkippen möchte?
Wölli: Ich glaube, dass jeder, der anfängt Musik zu machen und irgendwann mal mit einer Band spielt und mal ein bisschen die große Bühnenluft gerochen hat, das sagen wird. Ich habe das auch mal gedacht. Aber ich glaube heute, dass ich es nicht unbedingt haben muss. Ja klar, ich habe jetzt acht Jahre am Schreibtisch gesessen und zehn bis fünfzehn Stunden, wenn ich Veröffentlichungen hatte, hier herumgesessen und Mails geschrieben, CDs verpackt, zur Post gebracht und telefoniert wie ein Blöder. Ich habe versucht, für meine jungen Bands meine ganzen alten Kontakte, die ich in meiner Hosen-Zeit gesammelt hatte, zu nutzen. Dabei habe ich aber festgestellt, dass ich irgendwie nicht dafür geboren wurde, mit dem Arsch am Schreibtisch zu sitzen. Das ist irgendwie einfach nicht mein Ding.
Ich habe das gerne gemacht und ich hatte auch richtig gute und bekannte Bands auf dem Label, wie zum Beispiel Massendefekt, Stigma, Capricorn und viele andere. Also wirklich großartige Bands in ihrer Richtung. Und ich habe das übernommen und ich mich darum gekümmert sowie stundenlang am Schreibtisch gesessen. Dann habe ich die Konzerte meiner Bands besucht, wenn sie bei mir in der Gegend gespielt haben. Ich war zwar nicht jedes Wochenende irgendwo. Aber irgendwann habe ich dann doch gemerkt, dass etwas fehlt. Es hat mir Spaß gemacht mit den jungen Leuten zu arbeiten und ihnen teilweise das kleine ABC des Rock'n'Roll beizubringen. Wenn sie wirklich keinen plan hatten, aber talentiert waren. Nur wie gesagt, es ist nicht mein Ding. Meine Firma besteht zwar noch und der Musikverlag auch, aber seit einem Jahr lasse ich das jetzt auf Sparflamme laufen. Ich habe die Firma nicht dicht gemacht und ich kann mir auch vorstellen, wenn ich mal mehr Zeit habe, also wenn ich mit meinem eigenen Projekt nicht mehr so zeitig eingebunden bin, dass ich da mal wieder was tue. Aber diese Auszeit davon tut mir gut und es ist mir jetzt wichtig, Musik zu machen. Auf Bühnen zu stehen, auf Tour zu gehen und Menschen zu erfreuen. Das ist jetzt für mich die Priorität Nummer eins.
Alex: Du sagtest ja, dass du nicht der Mensch bist, der für die Arbeit im Büro geboren wurde. Stellen wir uns mal vor, du hättest den musikalischen Durchbruch nicht geschafft, was hättest du dann tun müssen?
Wölli: Ich habe keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ich habe ja ein Handwerk gelernt. Ich bin Elektroinstallateur in meiner Jugend mal geworden. Darüber bin ich auch irgendwie so ein Fummel-Typ. Mein Auto bringe ich auch nicht immer bei jeder Kleinigkeit gleich in die Werkstatt, sondern schraube selber und gucke ob ich dem Fehler auf den Grund gehen kann. Das ist auch bei vielen anderen Sachen so. Beim handwerklichen Anpacken, sage ich mal, wäre ich besser aufgehoben, als im Büro.
Alex: Und hättest du vielleicht einen Tipp für die jungen Menschen, die versuchen, eine professionelle Karriere aufzubauen, aber es nicht schaffen? Wie sie damit umgehen könnten?
Wölli: Das ist eine sehr, sehr schwere Frage. Vor zehn Jahren konnte man mal sagen: „Spielen, spielen, spielen!“ Sich den Arsch aus der Hose zu spielen, wann immer nur die Möglichkeit besteht, Verstärker anschließen und los legen. Das ist ja aber, wie du weißt, heutzutage ziemlich unsinnig. Also, es gibt natürlich andere Städte, da wird es vielleicht ein bisschen besser funktionieren. Aber hier ist es eine absolute Katastrophe. Dieses „Pay to Play“ macht sich immer weiter breit und die GEMA wird immer mehr zum Kulturvernichter. Es ist gerade hier im Raum Düsseldorf ... in ganz Düsseldorf gibt es ja gerade einmal zwei Clubs, wo du mit Rockbands spielen kannst! Natürlich gibt es noch ein paar Jugendhäuser. Aber ich meine, eine halbwegs professionelle Band nimmt doch nicht noch den jungen Bands ihre Spielplätze im Jugendheim weg, oder?
Es ist gerade hier in Düsseldorf extrem schlimm geworden. Oder du machst eine Veranstaltung, dann musst du dem Veranstalter als Band fünfzig Karten abkaufen, die du irgendwie an deine Fans los werden musst, weil der Veranstalter sagt: „Pass mal auf! Wenn keine Leute kommen, habe ich hier trotzdem Personal hinter der Theke. Ich habe eine Toilettenfrau und am Ende reicht es nicht mal, dass ich mein Personal bezahle.“ Deshalb gibt es das „Pay to Play“, damit eine gewisse Grundsicherung abgedeckt wird. Und das nimmt immer mehr Raum ein, was es jungen Bands immer schwerer macht, ins Geschäft einzusteigen. Ich meine, wer bringt beim ersten Auftritt sofort fünfzig oder hundert Leute mit? Das ist alles viel zu schwer. Diese Nummer mit „spielen, spielen spielen“, die funktioniert nicht mehr so richtig.
Das Einzige, was ich für die jungen Leute als Tipp geben kann, wäre: Vergesst einfach angloamerikanische Vorbilder! Findet euer eigenes Ding. So zu spielen, wie irgendwelche englischen oder Amy-Bands, um bei denen einen Stil abzukupfern, ist doch alles irgendwie unsinnig. Die Bands gibt es schon. Ich würde auf jeden Fall jedem raten, den eigenen Stil zu finden und die eigene Musik, die eigenen Töne und eigenen Melodien zu machen. Aber richtet euch nicht zu sehr nach den angloamerikanischen Vorbildern dabei.
Alex: Im Allgemeinen zeichnen viele Bands gerade ein sehr negatives Bild von der Musikindustrie. Glaubst du, dass es sich in den nächsten Jahren so fortsetzen wird? Oder könnte irgendwann ein Punkt erreicht sein, an dem die Labelstrukturen endlich zeitgemäß angepasst werden und die GEMA eine neue Denkweise verpasst bekommt?
Wölli: Das auf jeden Fall! Da muss unbedingt etwas passieren. Wir haben ja diese Krise, in der die Musikindustrie steckt. Es sind ja nicht irgendwie die Jugendlichen gewesen, die CDs gebrannt haben und damit alle in den Ruin stürzten. Die Krise ist entstanden, weil die unverschämt hohe Preise für CDs ausgerufen haben, als der Übergang von der Schallplatte zur CD war. Es war alles günstiger geworden, die Herstellung und so weiter. Aber die haben die Preise einfach weiter nach oben geschraubt. Ich denke, dass da so viel falsch gemacht wurde von der Industrie. Und ich weiß nicht, wie es besser gemacht werden könnte. Ich wehre mich auch gegen diese kostenlosen Download-Geschichten, denn ich finde nicht, dass wir es verdient haben, als Künstler die Arschlöcher zu sein, weil jeder meint, er könne sich alles kostenlos runterladen. „Ist doch scheißegal, wieso sollte ich was dafür zahlen?“ Aber dass wir Musiker eine Leistung erbracht haben, einen Song auszudenken, ihn zu proben, ihn herzustellen im Studio, das kostet Geld. Und wenn dann jeder meint, er könnte den einfach so kostenlos runterladen ... damit gehe ich nicht konform! Das finde ich nicht in Ordnung, da muss auch etwas passieren.
Aber ich bin nicht der Meinung, dass wenn sich Kinder ein paar Songs runtersaugen oder reinstellen, dass man die verfolgen sollte. Ich bin einfach nur der Meinung, dass man gerade diese Communities wie YouTube dazu verpflichten sollte, auch wenn es nur ein Cent pro Song sind, dieses Geld dann den entsprechenden Künstlern zuzuführen. Ich finde es völlig blödsinnig ein paar User anzuklagen, die meistens Schüler sind, die da runterladen und erwischt werden und dann vom Gericht verfolgt werden und denen tausende von Euros Strafe angedroht werden. Ich denke, dass da ein ganz anderer Weg möglich ist. Das momentan aber ist der falsche Weg. Wie man es genau regeln sollte, dafür habe ich leider keine Patentrezepte auf Lager.
Aber ich könnte mir vorstellen, dass es so gehen könnte: Wenn man die Plattform zur Verfügung stellen könnte und die Portale dazu zwingen könnte, eine gewisse Urhebergebühr zu bezahlen. Darauf müsste man Wert legen. Das muss sich definitiv ändern. Und die GEMA muss auch mal aufhören. Denen schwimmen die Felle davon, weil immer weniger CDs und Platten umgesetzt werden. Also was machen, die? Sie drehen wieder an der Live-Schraube! Wenn ich hier irgendwelche kleinen Clubs mit 150 Leuten sehe und soundso vielen Quadratmetern - egal ob die Hütte voll ist oder nicht, die GEMA will überall den gleichen Preis haben. Das ruiniert die Veranstalter! Die haben keinen Bock mehr, was zu machen. Wenn man schon 280 Euro hinlegen muss, damit eine Band in meinem Laden spielt, dann ist das ja nicht normal.
Und da zeigt sich die GEMA, wie ich meine, als Kulturvernichter und nicht in der Aufgabe, die sie eigentlich hat. Nämlich die Urheberrechte zu schützen. Da läuft vieles falsch. Ich bin aber auch, glaube ich, nicht der richtige Mann, der jetzt hier Auswege oder Lösungen parat hat. Ich bin da eher so ein bisschen abwartend. Mal gucken. Irgendwas muss ja passieren. Die GEMA hat bis heute noch nicht den richtigen Schlüssel gefunden, um Downloads zu verrechnen. Da geht ja immer noch ein Teil des Geldes auf ein Sperrkonto, der erst ausgezahlt wird, wenn alles geklärt ist. Ich meine, wie lange haben wir das Problem schon? Seit dem Jahr 2000 ungefähr ...
Alex: Das ist natürlich alles wahr, aber ich glaube, die hoffen, dass das Internet irgendwann wieder weg ist ...
Wölli: Nein, du kannst die Zeit nicht zurückdrehen! Sich solche Gedanken zu machen halte ich für falsch. Das wird nicht mehr gehen! Aber ich meine trotzdem - da kommen wir auch wieder zum Wacken oder so, ja? Zu den Metal-Bands, die da normalerweise spielen. Die haben ihre feste Community. Die Fans von denen kaufen die CDs noch. Es ist nicht so, dass das Internet an allem Schuld ist. Das sehe ich überhaupt nicht. Es sind einfach die Organisationen, die da drumherum wursteln. Die rechtliche Seite einmal, und dann eben der Leistungsschutz, die GVL und die GEMA. Die müssen einfach mal von ihrem hohen Ross runter um eine vernünftige Lösung zu finden. Ich glaube, dass es auf jeden Fall möglich ist.
Alex: ich verstehe nicht, woher sie in zehn oder zwanzig Jahren noch neue, innovative und erfolgreiche Bands herzaubern wollen, wenn sie jetzt so mit der Szene umgehen ...
Wölli: Das ist ja jetzt eben auch das Schlimme dabei! Aber die wissen auch ganz genau, dass du Musik einfach nicht tot kriegen wirst. Es wird immer musiziert werden, es wird immer neue Künstler und neue Musikrichtungen geben. Musik ist für jeden Menschen wie ein Grundnahrungsmittel. Aber wie gesagt, es muss irgendwie mal ein etwas anderes Bewusstsein erzeugt werden, dass wir Musiker dann nicht so der letzte Dreck sind. Jeder Maler kriegt seine Bilder bezahlt, oder auch jeder Fotograf oder was auch immer. Und bei uns ist es irgendwie so, dass wir liefern und arbeiten, wochen- oder monatelang in Probenräumen stehen und in stickigen Kellern hocken. Und dann veröffentlichst du mal ein Album und - Schwups! - ist es überall und jeder kann es sich ziehen, wie er lustig ist und welche Songs er gerade gut findet. Das ist eigentlich die Aufgabe von den Urheberrechtsschützern. Die müssen sich langsam mal was einfallen lassen.
Alex: Dann bist du doch sicherlich auch ziemlich wütend über Parteien wie die Piraten, oder?
Wölli: Eigentlich nicht, denn da gibt es auch vernünftige Leute, die das auch so sagen. Ich nutze ja YouTube auch. Wenn ich mal mit Leuten zusammen bin und wir reden über eine Band, deren Name mir nicht einfällt. Zack, zieh ich das und spiele denen eine Band von 1967 vor oder sowas. Das ist schon geil irgendwie. Ich finde das absolut positiv und würde das meinen Leuten aber auch vorspielen, wenn ich ihnen fünf Cent zahlen müsste. Darum geht's doch eigentlich! YouTube und die anderen Communitys, die stellen ja nichts selber rein. Das sind ja die Leute selbst, die Fans, die das reinstellen. Aber die Portale machen damit doch die Milliarden, zum Beispiel mit der Werbung. Die machen das endlose Geld damit, weil Millionen von Menschen weltweit da drauf gehen. Dann muss das doch möglich sein, dass von deren Seite auch etwas kommt. Oder dass sie dazu gebracht oder gezwungen werden, dass von allem, was da angeguckt oder angeklickt wird, ein Bisschen was an den Künstler geht.
Alex: YouTube und diese Plattformen sind aber meistens nicht unbedingt langlebig ... vielleicht sollte man etwas über ihnen Stehendes einrichten?
Wölli: Vielleicht kommt da ja irgendwas! Die Industrie hat ja vom Jahr 2000 bis heute ca. zwei Drittel an Umsatz verloren. Ich habe mit den Hosen vor 2000 noch eine Millionen Alben pro Veröffentlichung verkauft. Du kannst heute froh sein, oder die Hosen sind heute froh, wenn sie überhaupt 300.000 verkaufen. Ich finde, weil sie auch den Preis künstlich so hoch gehalten haben, was nicht nötig wäre, ist die Lage heute so verfahren. Also ich bin gern bereit, zehn Euro für eine CD auszugeben. Aber siebzehn bis achtzehn Euro sind mir ganz ehrlich zu teuer.
Alex: In Zeiten der Krise hat auch nicht jeder das Geld.
Wölli: Da muss man einen gesunden Konsens zwischen Industrie, Künstlern, Verwertungsgesellschaften und Anbietern schaffen. Dass man sich da mal an einen Tisch setzt. Es hat ja immer so Vorstöße gegeben, aber passiert ist eigentlich gar nichts. Keiner weiß wirklich, was er mit wem abrechnen kann. Die Verwirrung ist groß. Ich denke, das wird sich auch so schnell nicht ändern. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es irgendwann einfach ein System gibt, mit dem alle zufrieden sein können. Die Zeiten der Rockstars, die sind da endgültig vorbei.
Alex: Dann kommen wir langsam schon zum Ende des Interviews. Was steht noch für deine Zukunft an?
Wölli: Also erst mal weitermachen! Das nächste Album und im nächsten Jahr wieder richtig fett touren. Da freue ich mich drauf. Nach oben ist bei mir alles offen, solange es Spaß macht und meine Arbeit immer noch ein bisschen Anerkennung findet. Dass du spürst, dass es mit der Band vorangeht. Dass dich immer mehr Leute kennen und erkennen. Da geht's weiter, solange die alten Knochen mich noch tragen. Solange werde ich auch noch auf der Bühne stehen.
Alex: Dann bedanke ich mich bei dir für deine Zeit und das Interview! Alles Gute für deine Zukunft! Hast du vielleicht noch ein letztes Schlusswort an die Fans da draußen?
Wölli: Ich möchte mich bei allen Leuten bedanken, die beim Wacken zugesehen und mitgemacht haben! Ich bin sowas von angenehm überrascht. Weißt du, ich habe auch schon vor hunderttausend Leuten mit den Hosen gespielt. Wir haben mal im River Plate Stadion in Buenos Aires gespielt. Schon Einiges habe ich hinter mir. Aber Wacken war eine ganz neue Erfahrung für mich.
Moderation: Alexander Kipke
Wer in das aktuelle Album „Das Ist Noch Nicht Alles“ von 2011
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