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Interview: Erste Allgemeine Verunsicherung

mit Klaus Eberhartinger vom 3. November 2012 in der Großen Freiheit, in Hamburg
Am 3. November trafen wir uns in der Großen Freiheit 36 in Hamburg mit Klaus Eberhartinger von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV). Seit knapp 40 Jahren zieht die kabarettistisch aspirierte Formation aus Österreich durch die hauptsächlich deutschsprachigen Lande und verarbeitet in ihren Texten neben humoristischen zeitgenössischen Themen vor allem auch politische und ökonomische Begebenheiten. Nun mag es vielleicht ein wenig abgedroschen anmuten, mit einer ohnehin politisch stark engagierten Band über genau diesen Themenkomplex zu sprechen. Dennoch konnten wir es uns nicht nehmen lassen, mit Klaus dann doch ein Interview der „etwas anderen Art“ zu führen; losgelöst von der derzeitigen „Neandertal Tour“, die fälschlich im Vorgriff auf 2013 bereits als „Best Of Tour“ vermarktet wurde. Wann hat man schon die Gelegenheit? Wo doch die meisten Bands derartigen Themen recht bestimmt ausweichen; sei es aus Unwissen oder um ein Anecken bei ihren Fans oder potentiellen Geldgebern zu vermeiden. Und Klaus hatte so einiges Interessantes zu erzählen …
Wie geht die Band damit um, seit Jahr und Tag gegen den Vorwurf kämpfen zu müssen, sie würden „Klamauk“-Musik spielen? Was hat es mit Intelligenz erforderndem Humor auf sich? Und wie viel Selbstkontrolle hat man als Künstler, der vielleicht sehr kritische Texte in einer vordergründig humoristischen Verpackung serviert, über das Image, welches einem von den Medien übergestülpt wird?
Wie steht Klaus zur derzeit wieder zunehmend in Mode geratenden Tabuisierung religiöser Themen in Politik und Medien? Welche Probleme sieht er sich aus der Richtung des radikalen Islamismus‘ anbahnen und welche Rezepte stellt er sich zur Lösung des andauernden Konfliktpotentials zwischen Ost- und Westreligionen vor? Welche Handhabe sollte man beispielsweise beim derzeit die Gemüter erhitzenden Mohammed-Film an den Tag legen? Kann christliche Religion vergleichbare Fauxpas in ihrem Reigen verbuchen? Und sind rechtsradikale Deutsche irgendeinen Deut besser als Antifa-Extremisten? Wo sieht der wortgewandte Sänger der EAV den Unterschied zwischen moralischen Werten auf der einen Seite und Religion auf der Anderen – und warum kann er das eine Ernstnehmen, das andere aber nicht?
Seine Vermutung wäre soweit, dass „entwickelte Kulturen“ wie bei uns im Westen nicht nur gieriger seien, sondern womöglich auch aufgeklärter. Doch woran macht man Aufgeklärtheit fest? Ist es wichtig, den jungen Leuten von heute große Vordenker wie Hegel und Literaten wie Goethe wieder schmackhaft zu machen? Oder sieht er das Problem eher in einer religionshörigen Früherziehung der östlichen Länder, die eine individuelle Meinungsbildung im Sinne der Aufklärung nahezu aberziehen? In wieweit kann man mit tiefgründigen Texten hier in Deutschland noch die Massen erreichen? Sind wir nicht vielleicht schon zu sehr zu einer verdummten BILD-Nation geworden, um für derlei Inhalte noch flächendeckend zugänglich zu sein? Überhaupt wurde das Aufgreifen heikler Themen der Ersten Allgemeinen Verunsicherung in der Vergangenheit schon öfters mit medialem Boykott gedankt. Wie viel freie Meinungsäußerung haben wir tatsächlich, wenn Fernsehen und Radio bei jedem etwas brenzligerem Thema sofort das Senden verweigern? Und welche Rolle nimmt das natürlicherweise schlecht zu zensierende Internet dabei ein? Sind extreme Handlungen dabei wichtig, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen, während man die Kleingeistigkeit mancher Regimes anprangert, wie es etwa die Pussy Riots in Russland getan haben? Handelt es sich bei solche Aktionen um geschmackloses Schreien nach Aufmerksamkeit oder ist diese Form des Protestes einfach notwendig, weil er in milderer Form ungehört verklingen würde? Und wo genau zieht man dabei die Grenze zwischen wichtigem oppositionellem Gegenpol zur Politik und potentiell krimineller Anarchie?
Inwiefern erzeugt das Fernsehen falsche Helden für die Jugend und auch die vielleicht gar nicht mehr so jungen Menschen? Wird da überhaupt noch über die Realität berichtet oder hält die Fernsehkoch- und Familiendrama-Mafia unter dem Deckmantel der Scripted Reality bereits kollektiv die Kanäle besetzt? Trägt dieses als „Volkverdummung“ gehandelte Phänomen viel zur Verdummung der Massen bei? Und verletzen Zeitungen wie die BILD eigentlich ihre journalistische Verantwortung gegenüber dem Volk oder kommen sie im Prinzip nur dem Verlangen der Menschen nach einfachen, gütig portionierten und nett bebilderten Sensationsschlagzeilen nach? Diktiert ergo die Nachfrage das Angebot oder hat sich diese Situation nicht zumindest medial doch ins Gegenteil pervertiert, wobei die Zuschauer bestenfalls noch als Legehennen fungieren und willig den streng gefilterten oder blumig ausgemalten Informations-Overflow der großen Medien konsumieren? Inwieweit kann man derartigen ethnisch-politische Entwicklungen durch Musik beeinflussen … kann man überhaupt?
Man darf gespannt sein, welche Lösungen sich in den nächsten 10, 20 oder auch 30 Jahren für all diese Brennpunkte unserer gesellschaftlichen Probleme finden werden. Oder beißt sich am Ende doch – frei nach der EAV selbst – der „Kapitalismus in den Schwanz“? Wir werden es erleben. Wohl bekomm’s!
Zu guter Letzt hat Klaus dann auch noch einige Neuigkeiten zum Verbleib von Texter, Komponist und Gründungsmitglied der EAV, Thomas Spitzer. Es scheint, als habe dieser sein Interesse an einer Bühnenpräsenz auf andere kreative Arbeiten verlegt. Zwar wird er vermutlich am neuen EAV-Album mitarbeiten und im Zuge der dazugehörigen Tour möglicherweise auch wieder auf der Bühne zu sehen sein. Das ist natürlich derzeit Spekulation und lässt sich nicht langfristig planen. Auf lange Sicht geht Klaus jedoch davon aus, dass er sich aus der Live-Präsenz der Band zurückziehen wird und man einen dauerhaften Ersatz für ihn wird finden müssen. Klaus Fazit hierzu: „Für mich ist Thomas nicht nur ein Freund sondern wird immer unersetzbar bleiben!“ Ein schönes Schlusswort für ein sehr gutes und inhaltsschweres Interview. Vielen Dank dafür!
Dies und mehr seht und hört ihr in unserem ausgiebigen Video-Interview mit Klaus Eberhartinger von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung.
Die Fotogalerie vom Konzert am 3. November 2012 in Hamburg findest du hier!
Viel Spaß beim Schauen!
Moderation: Arne Luaith; Fotografie: Arne Luaith; Kamera: Alexander Kipke
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