Michael Schenker – Temple of Rock - Live in Europe (DVD)

Kritik von: Michael Voit
Album-Cover von Michael Schenkers „Temple of Rock - Live in Europe (DVD)“ (2013).
„Michael Schenker sichert sich einen ewigen Platz im Rock-Tempel.“
Interpret: Michael Schenker
Titel: Temple of Rock - Live in Europe (DVD)
Erschienen: 2013
Michael Schenker braucht eigentlich nicht näher erklärt zu werden, aber für alle diejenigen, die ihn wirklich nicht kennen sollten: Er ist der jüngere und - meiner Meinung nach - auch der coolere Bruder von Rudolf Schenker, beide Mitglieder der Scorpions. Ja, das waren die mit dem "Wind of Change", aber da war Michael Schenker schon längst über alle Berge. Und früher, da rockten die tatsächlich wie Sau - und auch später wieder - nachdem sie sich von dem Tiefschlag erholt hatten, den die Edelschnulze in der Anhängerschaft mit sich brachte und schwer an der Kredibilität der Band kratzte. Da zogen 15 Jahre ins Land und auch Klaus Meine glaubte mit der Zeit gehen zu müssen und blondierte sich kurzerhand die Haare; was aber den Scorpions auch nichts weiterhalf. Erst die Zeit heilte alle Wunden und so stehen sie heute im neuen Glanz bei ihrer mittlerweile zweiten Abschiedstour auf der Bühne. Kennen wir das nicht woher…? Aber zurück zu Michael: Weiters war er bei UFO, die mit "Doctor, Doctor" einen Welthit landeten und natürlich bei seiner Michael Schenker Group, kurz MSG genannt. Man könnte sogar so weit gehen und behaupten, Michael Schenker war ein Visionär und seiner Zeit voraus. Nachzuhören auf dem UFO-Album "Phenomenon" von 1974. Sein Markenzeichen wurde die Dean Flying V-Gitarre - und ist es bis heute geblieben.
Das Konzert für die vorliegende DVD wurde 2012 in Tilburg (Niederlande) aufgezeichnet: Dieses mal besteht die Band aus den ehemaligen Scorpions Mitgliedern Herman Rarebell (Drums) und Francis Buchholz (Bass). Des Weiteren sind noch Sänger Doogie White mit von der Partie - der schon bei Rainbow sang, dem Soloprojekt von Deep Puples Obergrantler Ritchie Blackmore - und natürlich Mehrzweckwaffe Wayne Findlay, der die Keys sowie die zweite Gitarre über hat und vermutlich auch der optische Blickfang der Band ist, solange Michael nicht gerade seine "V" irgendwo überm Kopf oder hinterm Rücken verknotet hat. Da an diesem Abend die Band aus der Mehrheit der Ur-Scorpions besteht, befindet sich das Original eigentlich in der Unterzahl und sie entmachten sie eher zu einer Tribute-Band, bei dem was Schenker hier vorlegt. Amüsant sind in diesem Zusammenhang auch die einleitenden Worte von Doogie: "Wir bitten die Zuschauer der ersten Reihen, zu ihrer eigenen Sicherheit, zurückzutreten: Wir haben heute drei lebende Skorpione auf der Bühne!!!" Im Übrigen ist es schön, Francis Buchholz wieder in Amt und Würden zu sehen, nachdem er Anfang der Neunziger etwas unschön aus der Band entfernt wurde.
Eröffnet wird dann mit dem mächtigen Instrumental-Rocker "Into the Arena", wobei natürlich auch das Intro vom letzten Studio-Album "Temple of Rock" nicht fehlen darf, für das man sogar William Shattner gewinnen konnte. Weiter geht's mit dem Kracher "Armed and Ready" bei denen der Ausnahmekönner wie ein geölter Blitz übers Griffbrett seiner Gitarre huscht und ihr die wildesten Töne und Soli entlockt. Dabei bespielen sie immer den 70s- wie auch den Hard-Rock der alten Schule. Michael fegt mit einer Virtuosität von einem Solo zum nächsten und streift Tracks aus allen Schaffensperioden von UFO ("Rock Bottom", "Doctor Doctor"), Scorpions ("Rock you lika a Hurricane", "Lovedrive" und "Another Piece of Meat") und natürlich der Michael Schenker Group. Wobei nochmals gesagt werden muss, den Scorpions-Nummern verschafft er zusätzlich einen gehörige Portion Schub. Auch nach längerer Suche, habe ich keine so druckvollen Versionen von Klaus Meine und Co gefunden.
Beim herausragenden "Hanging On" kommt dann Michael Voss und tut mit seiner Stimme der Band sichtlich gut, da der etwas lahmere Doogie White nicht mehr die Power aufbringen kann, die Voss auf die Bühne stellt. Er hat zwar vielleicht nicht den Stimmumfang eines White - dessen zeitweiliges Gekreische allerdings recht bald die Nerven strapaziert - aber er bringt alles besser rüber und fügt sich meines Erachtens auch optisch besser ins Line-Up. Zeitweise erinnert er sogar noch an die guten alten Tage eines Vince Neil. Leider belässt er es in Tilburg bei einem Song; aber er taucht später - im Bonusteil - nochmal auf, soviel kann ich schon mal verraten. Nach 50 Minuten Michi Schenker bluten mir vor lauter Solieren schon die Ohren und ich frage mich, wo dieses Energiebündel die Power hernimmt, beinahe nochmal so lange, viele weitere aneinander zu hängen. In der Zwischenzeit trommelt sich Herman in Extase. Der Ur-Skorpion ist ein Tier an den Drums, da darf man sich von dem vertrauenerweckenden "Netter-Onkel"-Blick nicht täuschen lassen. Wobei er menschlich ein ganz sympathischer Kerl ist, wie man bei den Bonus-Features recht schön sehen kann. Mit "Rock Bottom", einem mörderischen "Blackout" und natürlich "Doctor, Doctor" endet das Konzert nach über 100 Minuten. Michael war in Spitzenlaune und hat zusätzlich noch alles gegeben. Rockig, Rockiger, Schenker!
Kommen wir zum Bonus-Feature, nämlich den fünf Tracks vom High Voltage Festival in London 2011 - oder "Ehemaligentreffen", wie ich es gern nenne - die diese DVD erst so grossartig machen und mit allerhand Special-Guests aufwarten, wie Bruder Rudi Schenker, Jeff Scott Soto von Talisman sowie Axel Rudi Pell, Doogie White und Original-UFO-Member Pete Way. Mit "Armed and "Ready", "Another Piece of Meat", "Rock you like a Hurricane" und "Doctor, Doctor" sind lauter Klassiker im Set, einzig "Hanging on" vom aktuellen Studio-Album ist jüngeren Datums. Nur diesmal singt Michael Voss alle Nummern. Sso kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Nebenbei offenbart er sich auch noch als ein begnadeter Gitarrist, wie man bei der Granate "Rock you like a Hurricane" eindrucksvoll sehen kann. Wie vorhin schon erwähnt, ist mir persönlich Michael Voss um einiges lieber, aber das muss wirklich jeder für sich selbst entscheiden. Herman animiert auf amüsante Weise die Massen, wie schon früher bei den Scorpions-Konzerten der Anfänge, als er das Reden übernahm, da er, in der Band, der mit den besten Englisch-Kenntnissen war. "Rock you like a Hurricane" ist astrein gespielt. Nur Michael Voss fällt ein wenig zurück, aber na gut, er ist ja auch kein Klaus Meine, dennoch macht er seine Sache hervorragend. Der Sonnenschein tut auch den Hard-Rock-Veteranen sichtlich gut und ihre Spielfreude überträgt sich nahtlos auf die Musik und ins tobende Publikum. Rudolf Schenker post, dass es schon weh tut und springt dabei glückselig - wie ein Kasper - auf der Bühne hin und her. "Hanging on" entpuppt sich als veritabler Ohrwurm und wartet mit weiteren atemberaubenden Soli auf. Beim UFO-Finale sind sie dann alle auf der Bühne: Ein wahres Treffen der Giganten. Soto zieht sich sogar ehrfürchtig in den Hintergrund zurück. Nur Pete Way wirkt ein wenig verloren - aber keineswegs optisch, denn da stimmt alles bis hin zum gestreiften Beinkleid - eher musikalisch, denn er zupft uninspiriert an seinem Bass herum, wie so manch einer an seiner Unterlippe. Trotzdem, fünf Nummern sind hier einfach zu wenig, denn die Power der Herren kommt 1:1 rüber und sie zeigen, dass sie nichts von ihrer Virtuosität, Schnelligkeit und ihrem Feuer verloren haben. Im Booklet findet man allerhand Infos rund um das aktuelle Album und die dazugehörige Tour. Weiters sind die Bandmitglieder und alle Titel schön aufgeschlüsselt, mit dazugehörigen Songwriter-Credits. Leider wird das heutzutage oft schmerzlich vernachlässigt und es finden sich meistens nur spartanische Angaben im beiliegenden Heftchen. Unerwähnter Bonus: Die Kamera ist immer so optimal aufgestellt, dass Nachwuchs-Gitarristen schön sehen können, was Michael auf der Gitarre macht.
Ob dieses Livedokument das beste von Michael Schenker ist, kann jeder für sich selbst beurteilen. Für mich ist es das zweifelsohne, wobei die fünf Bonus-Songs vom High Voltage Festival der DVD den nötigen Vorsprung verpassen. Denn was der mittlerweile 58-jährige hier abliefert, ist einfach grandios und hat mich außerdem zu einem neuen Michael Schenker-Jünger erkoren. Konkurrenzfähig sind aber mindestens "The Michael Schenker Story/Live" von 1997 oder das 2010 erschienene "The 30th Anniversary Concert - Live in Tokyo".
Fazit: Mit diesen Konzerten plus dem dazugehörigen klanglichen Feuerwerk, setzt sich Michael Schenker definitiv ein Denkmal und sichert sich einen ewigen Platz im Rock-Tempel. Alle Nostalgiker und Scorpions-Fans können ganz bedenkenlos zugreifen - und finden sogar einen Großteil des alten Scorpions-Lineups hier auf der Bühne versammelt - und allen anderen Hard-Rockern wird Michael auch noch zeigen, wo der Hammer hängt. Bild und Ton sind sauber und astrein, aber halt keine Blue-Ray. Ich hätte dem Sound vielleicht noch eine Spur mehr Bass verpasst, weil man ruhig hören kann, was Francis und Herman da machen, denn sie sind ja beide alte Profis und enttäuschen auch diesmal nicht. Die Bonus-Features sind zwar nicht gerade opulent, aber die Tracks vom High Voltage Festival sind eine exzellente Draufgabe. Das "Before the Show"-Filmchen ist eher überflüssig, dennoch zeigt es recht schön, wie wenig glamourös es hinter der Bühne zugehen kann. Die Frage, ob die Doppel-Live-CD nicht gereicht hätte, kann ich an dieser Stelle eindeutig zurückweisen, denn es macht einfach Spaß, Michael beim "Zaubern" und zeitweiligen Posen zuzusehen. Und so finden sich auf der DVD qualitativ äußerst hochwertige Aufnahmen eines Ausnahme-Künstlers. Davon abgesehen ist "Temple of Rock - Live in Europe" auch für Michael Schenker-Einsteiger bestens geeignet, da die Band die komplette Bandbreite ihres Meisters streift und diese in noch nie dagewesener Intensität ins Publikum schleudert. Außerdem bringen sie mit Ihrer Power das seltene Kunststück fertig, trotz ihres Alters, den Jungen noch zu zeigen, wie der Hase läuft. Michael bearbeitet sein Ruder, dass es eine wahre Freude ist und degradiert mit seinem akrobatischen Spiel die restliche Band großteils zu Statisten. Maximal Herman Rarebell sticht noch ein wenig mit seinem ganz speziellen Drumming und seiner sympathischen Art hervor. Sollte man auf jeden Fall mal gesehen haben…
Anspieltipps: Into the Arena, Lovedrive, Another Piece of Meat, Rock you lika a Hurricane, Let Sleeping Dogs lie, Lights Out, Let It Roll, Rock Bottom, Doctor Doctor, Rock you like a Hurricane & das komplette High Voltage Festival
 
Score:
85% Hervorragend!

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