Nightwish – Imaginaerum by Nightwish

Kritik von: Arne Luaith
Album-Cover von Nightwishs „Imaginaerum by Nightwish“ (2013).
„Nightwish goes Burton!“
Interpret: Nightwish
Titel: Imaginaerum by Nightwish
Erschienen: 2013
Manche Filme sind anders. Sie brechen mit Konventionen, sie führen die Erwartungen des Zuschauers ad absurdum. Sie spielen mit gängigen Normen und Klischées. Sie schockieren oder überraschen. Doch nur wenige Filme schaffen es wirklich, aus dem 08/15-Einheitsbrei der durchschnittlichen Hollywoodproduktionen auszubrechen. Als moderner Meister des Surrealen gilt für viele Leute etwa Tim Burton, der mit Filmen wie Planet der Affen, Corpse Bride oder jüngeren Datums Alice im Wunderland das Phantastische mit dem Absurden verschmolz. Pünktlich zu Christi Himmelfahrt trudelte die DVD-Version des epochal orchestrierten Filmes „Imaginaerum by Nightwish“ in unserer Redaktion ein. Ein Film, aufgebaut um das erfolgreiche Konzeptalbum „Imaginaerum“ der Symphonic Metaller von Nightwish aus Finnland! Und ein Film, der sich schon auf seinem Cover selbst als „im Stil von Tim Burton“ beschreibt und damit hohe Ansprüche an sich selbst stellt. Ob es dem düstereren Machwerk von Nightwish-Mastermind Holopainen gelingt, in die obskuren Fußstapfen des Meisters zu treten?
Of Mice and Snowmen
Imaginaerum lebt ganz im Stile des Titels sehr stark von seinen Bildern. Der Film baut eine verworrene und düstere Traumwelt um den im Sterben liegenden Komponisten „Tom“ auf, offenkundig eine autobiographische Anspielung auf Holopainen selbst, welcher den Protagonisten in jungen Jahren auch höchstselbst verkörpert. Im Krankenhaus um sein Leben ringend, rekapituliert der demente Mann sein Leben, seinen Kampf um die „Dunkelheit in ihm“ sowie die Komplexe um seine früh verstorbene Mutter und seinen Vater, der sich vor seinen Augen das Leben nahm. Dreh- und Wendepunkt ist dabei die Gestalt eines Schneemannes, welcher den jungen Tom mit auf eine nächtliche Reise nimmt und dabei – so wie auch die Odyssee selbst mehr und mehr zum Albtraum verkommt –, zunehmend sein wahres, schreckliches Gesicht offenbart. Hierbei vermengt der Film phantastische Elemente mit grotesk-schaurigen Figuren und Landschaften im Stile des Vorbildes, ohne sich jedoch der burtonesquen Komik anzubiedern. Imaginaerum ist eine bitterernste Psychoanalyse um innere Zerissenheit, Beklemmung, verlorene Jahre und das krankhafte Festklammern an Erinnerungen. Der Film zeichnet das desolate Standbild einer von inneren Zwängen geplagten Psyche. Dabei dient die Nightwish-Musik einerseits als beständiger Begleiter des Protagonisten durch seine innere Traumwelt, andererseits erzeugt sie im ganz klassischen Sinne Stimmung und Atmosphäre. Sie erklingt in der verkopften Traumwelt des Charakters pausenlos, genauso, wie sie im Kopf des krankhaft-manischen Komponisten immerzu präsent ist und war und die echte Welt zunehmend aus seiner Wahrnehmung verdrängte. Soweit so gut; alles hervorragendes Ausgangsmaterial für einen guten Film! Und doch …
Ein fettes Contra
Imaginaerum arbeitet in Bildern und Musik, dramaturgisches Erzählen liegt nicht in der Stärke des Machwerks. Man merkt dem Film sehr deutlich an, dass er um die Musik der Symphonic Metaller von Nightwish herum konstruiert wurde. Manche Szenen – etwa als sich Toms Vater schießt – werden derart künstlich in die Länge gestreckt, dass einem Sekunden wie Minuten vorkommen und man merkt: An dieser Stelle ist das Video nur noch Notbehelf, um die Musik arbeiten zu lassen. Das kann man mögen, es scheint an einigen Stellen jedoch etwas zu viel des Guten werden. Das größte Manko des Filmes ist jedoch der nahezu vollends fehlende Charakteraufbau. Wir haben einen Mann im Sterbebett. Wir haben seine Frau, die Rabenmutter. Wir haben die Tochter, die ihren Vater für seinen autistischen Lebensstil hasst und sich am Ende deus-ex-machina-like mit ihm versöhnt. Viel mehr über die Figuren erfahren wir auch nicht, von einzelnen wenigen Stationen in ihrem Leben einmal abgesehen. Der Film beschränkt sich zu großen Teilen auf unklare Metaphern und dunkle Andeutungen, die so plakativ eingesetzt werden, dass sie schon wieder zum Selbstzweck verkommen. Die Krönung bleibt dabei die klimatische Auflösung um die wahre Identität des Schneemannes, die man spätestens nach 20 Minuten Spielzeit schon derart offensichtlich auf die Nase gedrückt bekommt, dass die große Auflöseszene am Ende nur noch ein müdes Naserümpfen beim Zuschauer erzeugt. Insbesondere wird durch die fehlende Charakterbeleuchtung jedweder Wow-Effekt im Keim erstickt. Ohne das Ende spoilern zu wollen: Es regt mich emotional einfach kein Stück an, wenn der Protagonist nach einem ganzen Leben lang endlich eine gewisse Person innerlich loslassen kann, die ich nicht kenne, die im Film nie über einige wenige Andeutungen hinaus beschrieben wurde, und wenn selbst vom offensichtlich sehr beklemmenden Leben des Protagonist nicht viel mehr erzählt worden war. Der Film macht einen entscheidenden Fehler, der unter Buchautoren als Faux-pas erster Güte gilt: Er zeigt die Dinge, die er aussagen möchte, nicht! Stattdessen lässt er die Charaktere sagen, dass sie so sind, wie sie sind. Ein Beispiel? Die Tochter hasst die Mutter. Warum? Weil sie es sagt. Der Hauptcharakter war zeitlebens abweisend zu seiner Tochter. Wird es gezeigt? Nein, es wird erzählt. Wird es begründet? Er wollte nicht, dass „die Dunkelheit in ihm auf seine Tochter übergeht“. Och bitte! Ohne jedwede Erklärung ist derartiger Klamauk keine tiefphilosophische Handlung sondern einfach ein fauler Notausgang für einen Produzenten, der offensichtlich weniger daran interessiert war, eine kohärente Handlung zu schaffen, als ein „künstlerisch wertvolles“ Gesamtwerk unter dem Deckmantel psychedelischer Unverständlichkeit auf die Beine zu stellen. Zu guter Letzt erscheint das Potential, welches in der Verwendung der musikalischen Komponente steckt, ein wenig verschenkt. Sehr oft im Spiel baut sich eine Szene langatmig auf, kurz vorm Höhepunkt hebt die Musik an, bereitet auf einen pompösen Höhenflug vor … nur um dann wenige Sekunden später komplett abzuflauen. Das kann wohldosiert als Stilmittel dienen. In Imaginaerum weckt es jedoch andauernd Erwartungen des Zuschauers, die dann in ernüchternd plumper Art beiseite geschaufelt werden.
Fazit:
Ein künstlerisch wertvolles Gesamtwerk ist Imaginerum auf jeden Fall. Es bleibt schwierig, einen solchen Film zu beurteilen. Man erinnere sich an Pynchons „Gravity’s Rainbow“, zu Deutsch „Die Enden der Parabel“. Ein Buch, bei dem sich seit Jahr und Tag die Gelehrten streiten, ob es höchste Kunst ist ... oder einfach nur unverständlicher, fragmentarischer Bullshit. Imaginaerum macht indes vieles richtig. Es zeichnet einen atmosphärischen Trip durch psychotische Traumwelten. Es verbindet die raffinierte und handwerklich äußerst solide Nightwish-Musik mit einer originellen und ungewohnt trübseligen Handlung, ohne dabei in einen x-beliebigen „Musical-Film“ auszuarten. Ist Imaginaerum „große Kunst“? Darüber werden sich die Leute gleichermaßen uneinig sein. Als Spielfilm betrachtet leistet sich der Streifen so einige Schnitzer. Als Musikfilm nutzt er das Potential nicht aus, das in der grandiosen musikalischen Vorlage steckte. Als Gesamtwerk bleibt ein opulent inszenierter Selbstverwirklichungstrip Holopainens zurück, dem man die Liebe des Künstlers zum Detail in jeder Pore anmerkt. Nicht zuletzt gibt es nur wenige Filme, die mich nach dem Schauen unentschlossen zurückließen, ob ich sie in meiner Bewertung in den Himmel loben oder so richtig verreißen soll. Bei Imaginaerum gewissermaßen scheint beides gerechtfertig. Hier ist kein Spielberg am Werk und auch kein Kubrick, das muss man berücksichtigen. Ergo bleibt als Fazit: Unbedingt anschauen! Danach kann man Imaginaerum lieben oder hassen. Aus künstlerischer Sicht lautet das Urteil daher: Prädikat wertvoll! Aber kein Film für Jeden.
 
Score:
84% Hervorragend!

Kommentare von Besuchern

13. Mai 2013, 17:01
Combatcake sagt:
Der Beitrag hier, ist teilweise schlicht falsch, die Mutter wird nur erwähnt, die Person die hier im Text angegeben ist ist nicht die Mutter, welche im Film nie zu sehen ist. Die Frau ist eine Feundin/Bekannte das Protagoniste, ausserdem hat die tochter die Mutter geliebt, nur den Vater nicht.... Ansonsten Top film, auf jedenfall sehenswert, aus Fan sowieso.

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